Fachvortrag zu den Ergebnissen des Forschungsprojekts MoWiS zeigt Chancen für den organisierten Sport auf – und äußert Kritik am bestehenden Vorgehen.

„Migration und organisatorischer Wandel in Sportvereinen“, kurz MoWiS – so lautet der Titel eines Forschungsprojektes, das die Universitäten Bielefeld und Stuttgart, sowie die FH Bielefeld gemeinsam betreuen. In einem Fachvortrag für Mitarbeiter im IdS-Programm und weitere Interessierte in den Verbänden informierten die Projektleiter Professor Carmen Borggrefe (Uni Stuttgart) und Professor Klaus Cachay (Uni Bielefeld) über die wichtigsten Erkenntnisse.
„Deutschland ist ein Einwanderungsland“, so stieg Cachay in den Vortrag ein, denn im Bundesschnitt haben 24,1 Prozent der Gesamtbevölkerung einen Migrationshintergrund. In einzelnen Bundesländern, darunter auch Baden-Württemberg, ist der Anteil deutlich höher. Betrachtet man unterschiedliche Altersgruppen, so steigt der Anteil an Personen mit Migrationshintergrund mit sinkendem Alter stetig an. Blickt man nun auf die Mitgliederstruktur in Sportvereinen, so ergibt sich ein anderes Bild: Menschen mit Migrationshintergrund sind stark unterrepräsentiert.

Umfangreiche Auswertung

Sich den Ergebnissen in Kürze ganzheitlich zu widmen, ist kaum möglich, weshalb die Vortragenden an diesem Tag den Fokus auf drei der vier zentralen Fragestellungen legten. Grundlage für die breit angelegte Studie waren Interviews, die mit baden-württembergischen und nordrheinwestfälischen Sportverbänden, Sportvereinen und deren Mitgliedern geführt wurden. Diese wertete das Forscherteam im Anschluss mühevoll aus.

„Wir vs. Ihr“ – Grenzziehung verhindert Teilhabe

Zunächst standen die Gründe für Inklusion bzw. Exklusion, also die bloße Teilhabe, von Menschen mit Migrationshintergrund im Blick. Borggrefe resümierte:
„Integration gelingt, wenn Vereine Passfähigkeit kommunizieren, ohne Personen explizit als Migranten anzusprechen.“ Wenn sich potenzielle Mitglieder also zugehörig fühlen, sich keine Grenzen zwischen dem „Wir“ und dem „Ihr“ auftun oder diese Grenzen im Miteinander verschoben werden können, wenn Vertrauen bei Eltern etc. und durch Promotoren aufgebaut werden kann, wenn multiple Zugehörigkeit von verschiedenen Gruppen möglich ist, und wenn Regeln verschiedener Mitglieder gelebt werden, dann sind Zugang und Verbleib von Zuwanderergruppen in Sportvereinen möglich.

Interkulturelle Öffnung an Vereinszweck binden

Die zweite Fragestellung der Forschenden beschäftigt sich mit strukturellen Möglichkeiten und Grenzen von Sportvereinen im Hinblick auf interkulturelle Öffnung. Zusammenfassend stellte das Vortragsduo heraus, dass Programme interkultureller Öffnung sich nur dann nachhaltig in Sportvereinen etablieren lassen, wenn sie an den Vereinszweck gebunden werden. Nur dann lasse sich gewährleisten, dass diese Maßnahmen kontinuierlich in den Kommunikationswegen des Vereins präsent sind. Integrative Maßnahmen müssten also ein klares Ziel verfolgen, beispielsweise die Mitgliedergewinnung,
um dadurch weiterhin Sportangebote anbieten zu können. Wenn Maßnahmen allein am Personal ausgerichtet seien, scheiterten diese beispielsweise mit dem
Ausscheiden einzelner Personen oder etwa an Widersprüchen mit Mitstreitern.

Menschen in Vereine bekommen

„Berührungen, Kommunikationsprozesse, integrative Prozesse – all das kann nur stattfinden, wenn Menschen mit Migrationshintergrund in den Vereinen sind“, so Cachay. Deshalb geht es zunächst darum, diese Menschen in die Vereine zu bringen, denn: „Derzeit haben wir ein funktionales Problem im Sport: Alle Streben nach Integration, doch die Gruppe von Migranten ist unterdurchschnittlich repräsentiert.“ Integration, Teilhabe gelinge derzeit nicht flächendeckend. Dabei offerieren Sportvereine Angebote, die Menschen zusammenbringen. Es gelte, diese Bevölkerungsgruppen über Promotoren, in etwa
Übungsleiter, Vorstandsmitglieder und Sportler, zu erreichen und so ein Netzwerk aufzubauen. So ergibt sich dann auch die Chance, weitere Sportler, Übungsleiter und Ehrenamtliche zu gewinnen.

Veränderung muss aus dem Sport heraus kommen

In einer Diskussionsrunde am Ende des Vortrages brachten sich einige Teilnehmer mit teils kritischen Fragen ein – und bekamen kritische Antworten, denn die Ergebnisse des Forschungsprojektes MoWiS sprechen nicht für ein „Weiter so“, wenn Integration gelingen will. Vielmehr müssten auch von Seiten der Sportverbände und -bünde Angebote geschaffen werden, die Ziele wie das der Mitgliedergewinnung in den Vordergrund stellen und Offenheit für alle ausstrahlen – Menschen mit Migrationshintergrund eingenommen, jedoch nicht alleingestellt. Für den organisierten Sport ist die Integration eine große
Chance, vielleicht sogar überlebenswichtig – doch noch will sie nicht so gelingen, wie sie könnte.

Hintergrund

„Integration durch Sport“ ist ein Programm des Deutschen Olympischen Sportbunds und seiner Mitgliedsorganisationen. In Baden-Württemberg wird es durch die Sportbünde und den LSVBW umgesetzt und durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) sowie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gefördert.