„Fortführung der Talenterkennung und -entwicklung in Baden-Württemberg“ lautete das Thema beim Landestrainer-Hauptseminar. Professor Martin Lames, Inhaber des Lehrstuhls für Trainingswissenschaft und Sportinformatik an der TU München, hielt den Impulsvortrag. Im Folgenden hat „Sport in BW“ seine wichtigsten Punkte zusammengetragen.    

Angesichts des steigenden Wettbewerbsdrucks und anhaltender Diskussionen um notwendige Reformen im Spitzensport erfordert nachhaltiger Erfolg eine adäquate Talentförderung. Wenn wir über Talenterkennung und -entwicklung sprechen, dann stellt sich zunächst die Frage: „Was können wir lernen für die Talentfördersysteme?“ Dazu gibt es verschiedene Ansätze. Mit meinem Vortrag will ich zu einer intensiven Diskussion anregen.

Zunächst gibt es die theoretischen Konzeptionen in der Talentforschung. Zum einen ist da die Begabungsforschung. Sie hat eine große Nähe zur Genetik. Des Weiteren gibt es die Expertiseforschung. Deren Kernaussage ist, dass Spitzenleistungen durch lange, harte Arbeit erreicht werden. Die Entwicklung eines Talents bis zur Spitze dauert etwa zehn Jahre. Dabei ist es völlig egal, in welcher Domäne der junge Mensch seine Talente besitzt. In der Musik, in der Wissenschaft oder im Sport.

Bei diesen zwei Ansätzen hat es in der Talentforschung in den vergangenen zehn Jahren einen Sinneswandel gegeben. Noch spielt der genetische Ansatz eine wichtige, wertvolle Rolle, aber der Expertiseansatz gewinnt mehr und mehr an Bedeutung. Denn zu Beginn der Talententwicklung muss auch das Umfeld berücksichtigt werden – Eltern, Schule und Verein.

Zunächst sollten wir klären: Wer ist ein Talent? Ein Talent ist jemand, der im Höchstleistungsalter seine höchste Leistung erbringen kann. Die normale Talentfindung erfolgt über auffällige Leistungen. Dabei wird zunächst nicht berücksichtigt, wie lange der junge Sportler schon trainiert. Wie ist seine körperliche Entwicklung? Daraus ergibt sich die nächste Frage: Was kommt noch?

Typisch für den Sport ist, dass die Talententwicklung ein langer, harter, an die Grenze gehender Prozess ist, auf den wir das Talent vorbereiten müssen. Für eine positive Entwicklung ist wichtig zu vermitteln, dass Angst- und Vermeidungsstrategien nicht zielführend sind. Entsprechend muss das Talent begleitet werden. Wobei diese Begleitung über den gesamten Zeitraum der Entwicklung nicht zwangsweise durch dieselbe Person erfolgen muss. Viel zielführender ist, dass zur jeweiligen Phase immer die optimale Förderung geschieht – altersgemäß, entwicklungsgemäß.

In der Wissenschaft wird von einem Drei-Phasen-Modell gesprochen. Phase eins ist die Bindungsphase. Dabei benötigt das Talent eine starke, intrinsische Bindung zu seiner Sportart. Es soll sich auf jeden Wettkampf freuen und diesen gut bestreiten. Und es muss sich gut aufgehoben fühlen. Deshalb ist eine fürsorgliche Verbindung zum Trainer entscheidend.

In Phase zwei geht es um die systematische Entwicklung, indem der Trainingsumfang über einen Zeitraum von drei bis sechs Jahren kontinuierlich gesteigert wird. Diese Phase verläuft häufig zur Pubertät. Plötzlich kollidiert der Sport mit größeren Anstrengungen in der Schule und persönlichen Beziehungen. Deshalb sind Krisen nicht ausgeschlossen. Sind diese Herausforderungen gemeistert, folgt die Masterphase. Darin bestimmt der Sport das tägliche Leben, ihm wird alles untergeordnet.

Nur sehr selten wird ein Trainer das Talent über alle drei Phasen begleiten. Zu Beginn sind Elterntrainer gut und wichtig. Doch sie sind meist Audodidakten. Kritische Phasen sind die jeweiligen Übergänge – vom beschützenden Trainer im Heimatverein hin zum Landes- oder Bundestrainer, vom kleinen Verein, der einen goldenen Käfig um sein sportliches Aushängeschild baut. Verantwortungsvoll handelnde Trainer versuchen deshalb nicht sich an das von ihnen entdeckte und bislang begleitete Talent zu klammern, sondern lassen dieses ziehen. Gleiches gilt für Vereine.

Für den Landessportverband Baden-Württemberg und seine Fachverbände heißt dies, dass sie in ihrem Talentfördersystem ein Getriebe zur Verfügung stellen müssen, in dem die einzelnen Zahnräder optimal ineinandergreifen können.