
Nach den Olympischen Spielen zelebrierte Paris auch die Paralympics. Mit dabei: 18 Athletinnen und Athleten aus Baden-Württemberg. Gut vorbereitet durch die beiden Behinderten- und Rehabilitationssportverbände in Baden und Württemberg konnten sie in Paris (fast) alle ihre Ziele erreichen. „Sport in BW“ hat sich mit Maurice Schmidt, Paralympicssieger im Rollstuhlfechten und deutscher Fahnenträger bei der Abschlussfeier unterhalten.
Herr Schmidt, bei den paralympischen Spielen haben Sie eine Woche erlebt, in der sich ein Highlight an das andere gereiht hat. Wie haben Sie diese ereignisreiche Woche erlebt?
Ereignisreiche Woche ist zu wenig, um das alles zu beschrieben. Ich hatte gehofft eine Medaille zu holen, aber dann wurde noch so viel draufgesetzt. Dass ich als Paralympicssieger, als Fahnenträger bei der Abschlussfeier die gesamte Stimmung mit den Fans so mitnehmen darf – das hatte ich mir niemals erträumt. Das war wirklich eine so wunderbare Zeit. Irgendwann muss ich mir mal die Zeit nehmen, um das alles Revue passieren zu lassen und noch einmal im Kopf zu durchleben. Weil es einfach so unglaublich war.
Und zuhause wurden Sie auch überschwänglich empfangen?
Der Empfang fiel relativ klein aus. Meine Freundin, viele Familienmitglieder und Freunde waren schon in Paris dabei. Als ich dann in unsere Wohnung gekommen bin, war diese voll mit Bildern und Zeitungsartikeln von mir, mit Luftballons in den Deutschlandfarben, Plakaten mit Gold-Schmidt. Auch mein Patenkind hat fleißig gemalt, richtig süße Sachen gemacht. Es ist unglaublich, diesen Support zu haben und hier so schön anzukommen.
Hatten Sie schon Zeit, das Erlebte zu verarbeiten?
Noch nicht, weil ich unheimlich viele Anfragen zu Fernsehauftritten und Interviews hatte, die ich alle mitnehmen wollte. Es ist so viel passiert, dass ich noch keine Gelegenheit hatte, ein wenig runterzukommen, ein wenig für mich selbst sein zu können.
Wie haben Sie erfahren, dass Sie als Fahnenträger mit der deutschen Fahne bei der Abschlussfeier ins Stadion laufen würden?
Als der Anruf von Karl Quade, unserem Chef de Mission, kam, war ich nach meinem Degenwettkampf, der nicht so toll lief, noch etwas verkatert im Bett, weil ich ordentlich gefeiert hatte. Er fragte mich, was ich am nächsten Tag machen würde, wie ich angezogen sei? Und plötzlich sagte er, dass ich der Fahnenträger bin. Ich hatte eigentlich gedacht, dass ich langsam runterkommen könnte, aber stattdessen kam noch einmal etwas obendrauf.
Was waren Ihre ersten Gedanken?
Das war so eine Ehre für mich, dass ich ausgewählt wurde. Denn es gibt in unserem Team noch so viele andere tolle Sportler, die richtig krasse Ergebnisse erreicht haben. Josia Topf hat im Schwimmen nicht nur Gold, sondern einen ganzen Medaillensatz gewonnen. Neben Elena Semechin, einer der absoluten Topstars im paralympischen Schwimmen, einlaufen zu dürfen und die Fahne zu schwenken, das war ein unglaubliches Gefühl. Wie dieses Meer aus Menschen in dem vollen Stadion gefeiert hat. Wir standen den Olympischen Spielen in Nullkommanichts nach. In dieser Nacht war das Stadion de France die größte Disco, der größte Club in Paris. Das war so eine tolle Party. Und dass ich die beginnen durfte mit dem Fahne tragen für Deutschland – das war eine unglaubliche Ehre.
Sie sagten, dass Sie sich wie in einem Film gefühlt hätten. Ist für Sie der Abspann schon gelaufen?
Der Film ist zu Ende. Was jetzt kommt, ist eine Serie. Denn es geht mit Interviews, mit Feiern mit meinen verschiedenen Freundesgruppen, mit Empfängen und mit der Einladung zum „Club der Besten“ weiter. Das will ich alles mitnehmen und genießen. Dass ich jetzt in der Öffentlichkeit stehe, will ich nutzen und meine Messages, die ich verbreiten will, auch weitergeben.
Die da wären?
Ja, vor allem das Fechten. Fechten und Rollstuhlfechten können in Deutschland noch viel mehr zusammenarbeiten. Das wollten wir sowieso weiter anschieben. Den Schwung, dass ich im deutschen Fechten als einziger eine Medaille, und dann noch die Goldmedaille, gewonnen habe und die olympischen Fechter in den letzten Jahren ohne Medaillen geblieben sind, will ich gerne mitnehmen, damit wir in Zukunft viel mehr das paralympische und das olympische Fechten vereinen. In anderen Nationen wie Frankreich oder Italien läuft das schon mega gut. In diesen Nationen kommen zu den paralympischen Weltmeisterschaften die Fußgänger, wie wir im Rollstuhlfechten die nichtbehinderten Fechter bezeichnen. Dabei fungieren sie als Sparringspartner für die Rollis. In Deutschland werden wir Rollstuhlfechter vom Deutschen Fechterbund nicht wirklich respektiert. Beim Deutschen Fechtertag wollten wir uns vorstellen. Darauf bekamen wir zur Antwort, dass das nicht ginge.
Wie sieht es in den Vereinen aus?
In den Vereinen sind wir Rollstuhlfechter vollkommen integriert. Wir fechten oft zusammen mit den Fußgängern. Aber auf Bundesebene könnten wir viel mehr zusammenarbeiten, indem wir gemeinsame Trainingslager organisieren. Die Fußgänger müssen nicht immer mit uns fechten, aber die Inklusion können wir gemeinsam leben und zeigen, dass wir zusammengehören. Ich möchte anstoßen, dass wir in Zukunft beim Fechten und Rollstuhlfechten zusammenarbeiten. Das Potenzial mit Inklusion, mit Integration nutzt der Deutsche Fechterbund nicht richtig aus. Ich habe schon mit vielen Fechtern darüber gesprochen. Sie alle haben Lust, mehr mitzuarbeiten. Aber in der Verbandsspitze fehlt es zum Teil an der Akzeptanz fürs Rollstuhlfechten.
Bei den Fußgängern ist es gang und gäbe, dass sie immer nur in einer Waffenart antreten. Sie haben sowohl mit dem Säbel als auch mit dem Degen gefochten. Warum geht dies bei den Rollis?
Bei uns war das schon immer so. Es gibt nicht die riesige Zahl an Rollstuhlfechtern. Die Weltcups werden nicht nur in einer Waffe, sondern immer in mehreren ausgetragen. Wenn man bei einem Weltcup vor Ort ist, will man nicht nur einem Wettkampf bestreiten, sondern mehrere Wettkämpf mitmachen.
Die Umstellung ist kein Problem?
Einfach ist das nicht. Es gibt schon viele Rollstuhlfechter, die eine Hauptwaffe habe. Aber es gibt auch viele, als solchen würde ich mich bezeichnen, die im Degen wie im Säbel gleich stark sind. Es kommt auf den Tag an, wie fit ich bin. Mal bin ich beim einen Turnier im Degen besser, mal im Säbel. Ein anderer Grund, warum wir mit mehreren Waffen fechten, liegt darin, dass wir dann im Team antreten können. Das ist in allen Nationen so. Saysunee Jana aus Thailand hat bei den Paralympics in ihrer Kategorie mit jeder Waffe Gold geholt.
Säbel oder Degen – was liegt Ihnen mehr?
Da gibt’s keine Priorität. Ich habe mit dem Degen angefangen, weil wir in Böblingen ein Degenverein sind. Als Zweitwaffe habe ich dann Florett, weil es auch eine Stoßwaffe ist, gemacht. Aber damit bin ich nie erfolgreich und glücklich geworden. Deshalb bin ich zum Säbel gewechselt. Bei den Paralympics lief es im Säbel sehr gut. Aber es gibt auch Tage, an denen ich damit nicht klarkomme und früh rausfliege. Dann stehe ich vielleicht am nächsten Tag mit dem Degen im Finale. Ich habe keine Vorliebe. Degen ist ruhiger und geduldiger. Man hat im Gefecht mehr Zeit, den entscheidenden Angriff vorzubereiten. Beim Säbel geht es Schlag auf Schlag. Bei fertig-los muss man bereit sein und wissen, was für eine Aktion man machen will. Da muss man viel den Gegner lesen und dann taktieren. Beim Degen gilt es mehr im Gefecht, die richtige Aktion zu finden.
Sie sind mit 25 Jahren noch relativ jung. Ist Los Angeles ein Ziel?
Auf jeden Fall. Nicht nur ich, sondern das gesamte Rollstuhlfechten in Deutschland ist noch jung. Wir haben richtig starken Nachwuchs, der in den letzten drei, vier Jahren bei den Jugend- und U23-Weltmeisterschaften richtig abgeräumt hat. Mit Julius Haupt, der ganz knapp die Qualifikation für Paris verpasst hat. Mit Felix Schrader, der mehrfach U23-Weltmeister ist. Und mit Clemens Cursiefen, der letztes Jahr im Säbel U23-Weltmeister geworden war. Felix Schrader und Clemens Cursiefen sind jetzt nach Böblingen gekommen. Da bauen wir einen richtig starken Stützpunkt auf. Dann haben wir auch noch ukrainische Fechter bei uns. Mit denen trainieren wir und entwickeln uns richtig stark. Nicht nur ich bin erfolgreich, sondern künftig wollen wir als Team richtig angreifen.
Wenn Sie nicht fechten, studieren Sie Umweltschutztechnik. Wie weit sind Sie?
Ich bin im vierten Semester an der Uni Stuttgart, allerdings habe ich letztes Semester pausiert, um mich auf die Paralympics vorzubereiten. Davor habe ich Sportwissenschaften in Tübingen studiert. Das hatte eigentlich nur den Grund, damit ich mich auf den Sport konzentrieren konnte. Da konnte ich die Kurse so zusammenstellen, wie ich das gebraucht habe, um optimal trainieren zu können. Nach Tokio habe ich entschieden, noch einmal ein Studium anzufangen, auf das ich Lust habe. Ich ernähre mich seit fünf Jahren vegan und bin darüber auf die Themen Umweltschutz und Klimawandel, was da alles abgeht, auf das Studium der Umweltschutztechnik gekommen. Es funktioniert perfekt, weil ich von Böblingen gut mit der S-Bahn auf den Campus komme. Nach den Paralympics, nach diesem Erfolg, kann ich den Sport fürs nächste Jahr ein kleinwenig zurücknehmen und mich aufs Studium konzentrieren. Damit ich meine Karriere nach der Sportkarriere vorantreiben kann.
In welche Richtung wollen Sie sich spezialisieren?
Das weiß ich noch nicht. Nach dem Grundstudium mit sehr viel Mathematik und Naturwissenschaften kommt jetzt langsam die Spezifizierung. Da schaue ich, was mir gefällt. Es gibt so viele interessante Bereiche, in denen man so viel machen kann, in denen man viel erreichen kann, um etwas an die Natur zurückzugeben. Das ist mein Ziel.