Was der organisierte Sport tun kann, um Kinder wieder zum Sport zu motivieren? Im Interview gibt Dr. Katja Klemm, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektkoordinatorin der Projekte Fitnessbarometer und MO|RE data am Institut für Sport und Sportwissenschaft des Karlsruher Instituts für Technologie, sowie Vizepräsidentin des Baden-Württembergischen Triathlonverbands, einige Anstöße.
Frau Dr. Klemm, was bedeuten Fitness und Motorik im Kindes- und Jugendalter?
Die motorische Leistungsfähigkeit, im allgemeinen Sprachgebrauch auch Fitness genannt, beinhaltet nach dem fähigkeitsorientierten Ansatz von Bös und Mechling die Fähigkeiten Ausdauer, Kraft, Koordination, Schnelligkeit und
Beweglichkeit. Eine gute motorische Leistungsfähigkeit ist ein wichtiger Gesundheitsmarker in jungen Jahren aber auch für die weitere Lebensspanne. Sie ist die Basis für ein aktives und bewegtes Leben. Ein junger fitter Mensch ist somit mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ein fitter mittelalter und alter Mensch. Wird der Grundstein in jungen Jahren gelegt, können die Erwachsenen später auf eine breite motorische Ausbildung zurückgreifen, die sie einen aktiven Lebensstil und lebenslange Fitness auch im höheren Alter benötigen.
Wie steht es aktuell um die Fitness der Kinder in Baden-Württemberg?
Mit dem Fitnessbarometer 2022 wurde dieses Jahr zum 10. Mal ein Überblick über die Fitness von drei- bis zehnjährigen Kindern in Baden-Württemberg durch die Kinderturnstiftung Baden-Württemberg, Prof. Dr. Klaus Bös und dem Forscherteam um Dr. Claudia Niessner mit Tanja Eberhardt, Hannah Kron und mir veröffentlicht. Im Rahmen des Fitnessbarometers und mit den Testaufgaben der Turnbeutelbande wurden inzwischen schon über 25.000 Kinder in Baden-Württemberg getestet. In diesem Jahr stand der Fitnessbarometer im Zeichen der Corona Pandemie und deren Auswirkungen.
Im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie, zeigen die Ergebnisse des Fitnessbarometers einen Einbruch in der Gesamt-Fitness (um 3 Prozentpunkte). Im Detail ist zu sehen, dass sich besonders die Ausdauer, Koordination und Schnelligkeit verschlechtert haben. Die Kraft zeigt eine kleine Steigerung, was an den weitergeführten Trainings- und Übungsstunden @Home liegen könnte. Die Beweglichkeit stagnierte.
Wie steht Baden-Württemberg hier im nationalen Vergleich da?
Im nationalen Vergleich sind die Kinder in Baden-Württemberg etwas besser als der bundesweite Durchschnitt (etwa 7 Prozentpunkte). Für ganz Deutschland und auch international gilt jedoch, dass die Fitness seit Jahren auf einem relativ geringen Niveau stagniert. Bis zum Jahr 2000 sank die motorische Leistungsfähigkeit um rund 10%, seither hält sie sich etwa auf diesem Niveau.
Welche Entwicklung erwarten Sie für die nächsten Jahre?
Es ist schwer vorherzusagen, wie sich die Motorik bei den Kindern entwickeln wird. Aktuell zeigt sich ein Abwärtstrend. Die Frage ist, ob sich der Abwärtstrend nach der Pandemie wieder umkehren lässt, also es bei einer Delle bleibt. Oder ob es zu einem Knick kommt und die bisherige Stagnation zu einem negativen Trend ändert
Was kann der organisierte Sport tun, um Kinder und Jugendliche zu unterstützen?
Ob aus diesen Daten eine Delle oder ein Knick wird, hängt besonders von den Angeboten und Möglichkeiten zu Bewegung und Sport für Kinder und Jugendliche sowie deren Familien ab. Diese Angebote kann der organisierte Sport, auch durch Kooperationen bspw. mit Kommunen oder Bildungseinrichtungen, leisten. In der längsschnittlichen Untersuchung im Rahmen des Fitnessbarometers wurden Daten einer Gemeinde mit den weiteren Daten in Baden-Württemberg verglichen. Diese Gemeinde fördert aktiv die Bewegung und den Sport mit allen Stakeholdern innerhalb der Gemeinde (Kita, Schule, Vereine, Gemeindeverwaltung etc.) und konnte damit jedes Jahr den Durchschnitt übertrumpfen.
Der Sportverein an sich ist ein wichtiges sportliches und soziales Setting für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Dies gilt es zu nutzen. Wichtig dabei ist, Bewegungsmöglichkeiten für alle Kinder und Jugendlichen zu schaffen, und einen niedrigschwelligen Einstieg zu ermöglichen. So profitieren alle davon, ob durch neue Mitglieder, ein passendes Bewegungsangebot oder eine zukünftig aktive und damit gesunde Bevölkerung.