Florian Hassler ist Staatssekretär für politische Koordinierung und Europa im Staatsministerium Baden-Württemberg. Als Sportfan hat der 45-jährige Sindelfinger stets auch die Interessen des Sports im Blick. „Ich setze mich in Brüssel dafür ein, dass wir noch mehr Möglichkeiten aus Europa bekommen, dieses ehrenamtliche Engagement zu unterstützen“, sagt er im Interview mit „Sport in BW“. Nicht nur das Land und der Bund fördern den Sport, finanzielle Hilfe kommt auch aus Brüssel. 

Staatssekretär Hassler, in einem Jahr finden in Paris die Olympischen Spiele statt. Nach langer Zeit kommen diese wieder nach Europa zurück. Welche Chancen bietet dieses Ereignis – nicht nur für Frankreich, sondern auch für Europa?

Erst einmal freue ich mich auf diese Olympischen Spiele im Herzen von Europa. Wenn man sich anschaut, in welchen Ländern zuletzt die Spiele stattgefunden haben – im autokratisch regierten China und Russland – da ist es ein ermutigendes Signal, dass solche Sportgroßveranstaltungen noch bei uns stattfinden können – als Fest des Sports und der freien, offenen Gesellschaft. Pierre de Coubertin, der Gründer der modernen Olympischen Spiele, hat damals formuliert:  Das Wichtigste an den Olympischen Spielen ist nicht der Sieg, sondern die Teilnahme. Auch im Leben ist nicht das Ziel, sondern das Streben nach einem Ziel das Wichtigste. Diesen olympischen Gedanken den Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, wenn sie hautnah miterleben können, wie eine Olympiastimmung aufkommt, das ist natürlich etwas Fantastisches. Einmalig ist auch, dass die Eröffnungsfeier mitten im Zentrum von Paris stattfinden wird.

Auf der Seine, um genau zu sein.

Das ist eine Form und ein Zeichen von Weltoffenheit und Zugänglichkeit für alle Teile der Bevölkerung zum Sport. Das Signal ist: Sport gehört allen Menschen. Es ist doch großartig, dass bei einer Eröffnungsfeier eine halbe Millionen Menschen live dabei sein können. Das setzt neue Maßstäbe.

Sie haben die Begeisterung angesprochen, dass der olympische Geist auf Kinder und Jugendliche überspringen kann. Auch Pierre de Coubertins Postulat, dass die Teilnahme wichtiger sei als der Sieg. Glauben Sie nicht, dass dies ein wenig Romantik ist, denn mittlerweile überwiegt, gerade wenn man an die Vermarktung der Spiele durch das Internationale Olympische Komitee (IOC) denkt, der Kommerz.

Es tut mir leid, das sagen zu müssen, schließlich ist Thomas Bach (IOC-Präsident, die Redaktion) als Tauberbischofsheimer ein Landsmann. Aber die Entwicklung der letzten Jahre besorgt mich. Es gibt eine Entwicklung beim IOC, wir haben dies auch beim Internationalen Fußball-Verband Fifa gesehen, weg von den Grundwerten des Sports. Die immer weiter vorangetriebene Kommerzialisierung ist das eine, die Frage der Menschenrechte das andere. Umso mehr glaube ich, dass wir von den Olympischen Spielen in Paris, im Herzen des Friedenprojektes Europa, andere Signale bekommen. Für den Sport liegt eine große Chance darin, dass junge Menschen Sportarten kennenlernen können, mit denen sie normalerweise nicht in Berührung kommen. Auch junge Sportarten wie Skaten und Surfen erhalten eine Plattform. Bei aller berechtigten Kritik: Ich bin überzeugt, dass die Kraft, die der Sport entwickelt, bei solchen Großereignissen eine enorme Wirkung entfaltet, Begeisterung auslösen und Anstöße geben wird.

Sie haben die Werte des Sports angesprochen. Das deutsche Vereinssystem mit dem großen ehrenamtlichen Engagement der Bürgerinnen und Bürger ist einzigartig in Europa. Wie wird diese wichtige Arbeit für die Gesellschaft in Brüssel gesehen? Fragen andere Länder nach, wie dies bei uns in Baden-Württemberg funktioniert?

Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Sport verbindet auf einfache Art Menschen unterschiedlicher Herkunft, Menschen mit und ohne Behinderung, Menschen mit verschiedenen sozialen und kulturellen Hintergründen. Sport schafft auch Brücken zwischen Generationen. Und vor allem vermittelt Sport Werte wie Toleranz, Fairness, Solidarität. Das ist genau das, was wir in Baden-Württemberg, in Deutschland, in Europa brauchen. Um diese Kraft des Sports zu unterstützen mache ich, wenn Sie gestatten…

Gerne…

…einen kleinen Exkurs nach Baden-Württemberg. Wir haben vor einigen Monaten einen Modellversuch mit der Ehrenamtskarte in den Kreisen Freiburg, Ulm, Calw und Ostalb gestartet. Eine Ehrenamtskarte auch als Zeichen der Wertschätzung für bürgerschaftliches Engagement, ein Zeichen der Anerkennung. Baden-Württemberg ist das Ehrenamtsland Nummer 1. Unser Gemeinwesen lebt von solchen Menschen, die sich gerade in den Sportvereinen engagieren. Diese Ehrenamtskarte habe ich kürzlich bei einer Sitzung in Brüssel vorgestellt. Bei mir haben danach Kolleginnen und Kollegen aus Ländern, die kein so starkes ehrenamtliches Engagement kennen, nachgefragt, wie wir das machen.

Gibt es auch finanzielle Unterstützung?

Ich setze mich in Brüssel dafür ein, dass wir noch mehr Möglichkeiten aus Europa bekommen, dieses Engagement zu unterstützen. Es gibt bereits Möglichkeiten im Rahmen des Erasmus+-Programmes. Darin ist Sport ein fester Bestandteil und antragsberechtigt. Da geht es um Dinge wie Kooperationspartnerschaften, europäische gemeinnützige Veranstaltungen oder auch normalen Austausch.

Bei Erasmus+ müssen immer auch kulturelle oder politische Inhalte vermittelt werden. Sport allein genügt nicht. Wäre es nicht im Sinne der Völkerverständigung, den grenzüberschreitenden Austausch zu erleichtern und die Ansprüche an förderfähige Projekte auf das Tatsächliche zu fokussieren?

Das gibt es bereits. Eine der Programmlinien richtet sich explizit an den Sport. Hier werden Kooperationspartnerschaften oder europäische Sportveranstaltungen gefördert. Da geht es nicht direkt um Politik oder Kultur. Aber: Wenn junge Menschen gemeinsam trainieren oder einen Wettkampf bestreiten, leben wir Völkerverständigung und europäischen Dialog. Das ist der Vorteil des Sports. Deshalb sollte der Sport noch viel stärker durch das Erasmus-Programm gefördert werden.

Bei den Sportstätten, die in Zukunft möglichst nach Kriterien des Green Deals erstellt und betrieben werden sollen, gibt es zur Finanzierung der neuen Technologien weder für den Sport noch für die Kommunen genügend Mittel. Kann es Hilfe aus EU-Töpfen geben, z.B. aus dem EFRE-Programm? 

Im Rahmen der Förderrichtlinien des Landes gewinnen Nachhaltigkeitsaspekte mehr und mehr an Bedeutung. Ein prominentes Beispiel waren die Verfüllungen in den Kunstrasenplätzen mit Mikroplastik. Dieselbe Problematik gibt es auch auf Reitplätzen. Natürlich stellt dies Sportverbände und Sportvereine vor Herausforderungen. Der Europäische Fond für regionale Entwicklung (EFRE) bietet dafür Möglichkeiten. Wir haben das sehr im Blick, wie wir es Kommunen und Vereinen leichter machen können, in diesem Bereich den GreenDeal zu erreichen.

Eine Vereinheitlichung trägt zur Vereinfachung bei.

Das wäre meine Forderung an Brüssel: Einheitliche und einfachere Förderprogramme der EU. Das wäre auch kumulierbar mit unseren Förderprogrammen im Land. Im Breitensport – ich denke an in die Jahre gekommene Sporthallen, Vereinsheime und Umkleidekabinen – gibt es vor Ort ein riesiges Potenzial, in kleinen Schritten zum Klima- und Umweltschutz beizutragen und gleichzeitig in die Vereinsinfrastruktur zu investieren.

Geringere Energiekosten wären zudem ein Anreiz.

Stimmt, bei steigenden Energiepreisen wird dies zu einem Kostenfaktor. Dies finde ich einen spannenden Punkt, den wir in Brüssel unbedingt in den Blick nehmen müssen.

In Baden-Württemberg hat der Sport seine Heimat im Kultusministerium. Im Bund im Innenministerium. Und wo ist er auf EU-Ebene angesiedelt?

Das ist in der Tat ein wenig kompliziert in Brüssel. Für den Sport gibt es erst seit dem Vertrag von Lissabon, also seit 2009, eine Mitzuständigkeit, wenn man es so ausdrücken will; Beim Sport verhält es sich wie beim Thema Bildung auf europäischer Ebene: Koordinieren und Fördern kann die EU, hat aber keine Gesetzgebungskompetenz. Das ist als Ergänzung zu den Mitgliedsstaaten formuliert. Programme wie Erasmus+, EFRE und andere sind in den unterschiedlichsten Dienststellen angegliedert. Für den Sport ist eigentlich die Dienststelle Bildung, Jugend, Sport und Kultur zuständig.

Wäre es nicht zielführender, dass sich eine Dienststelle mit dem Sport beschäftigt?

Dies ist die gleiche Debatte wie in Deutschland.

Seit vielen Jahren gibt es das Projekt „Vier Motoren für Europa“ mit der Lombardei, Katalonien, Rhone-Alpes und Baden-Württemberg. Können solche regionalen Projekte, nachdem die EU immer größer wird, ausgebaut oder neu aufgelegt werden?

Ich habe vor wenigen Wochen die Präsidentschaft für die vier Motoren übernommen. Diese vier Motoren gibt es seit 1988. Der damalige Ministerpräsident Erwin Teufel hatte die Idee, dass vier wirtschaftsstarke Innovationsregionen sich zusammentun, sich austauschen, voneinander lernen, gemeinsam Kräfte bündeln. Auch der Sport spielt eine Rolle in diesem Bündnis. Das ist toll. Es gibt jetzt auch eine Kooperation mit Flandern, weil diese Region ähnlich aufgestellt ist wie wir.

Was gibt es für Alternativen?

Die vier Motoren lassen sich nicht beliebig auf andere Regionen erweitern. Aber wir sind auch stark engagiert in der Donauraum-Strategie, insbesondere auch im Jugendaustausch und der Jugendbegegnung. Die Donau entspringt in Baden-Württemberg, sie endet in der Ukraine. Sie ist also politisch gerade sehr aktuell. Alle Anrainerstaaten sind über die Donauraum-Strategie miteinander verbunden. Darüber haben wir viele Kontakte nach Mittel- und Osteuropa.

Der LSVBW hat aktuell einen Antrag gemeinsam mit Norwegen, Rhones-Alpes und Kroatien zur Steigerung der Quote von Frauen in Führungsfunktionen in Sportverbänden gestellt. Wird das Land diesen unterstützen?

Ich finde dies eine tolle Initiative. Die Steigerung der Quote von Frauen in Führungspositionen, generell und auch in Sportvereinen, ist ganz wichtig. Deswegen begrüße ich diesen Antrag vollumfänglich.

Noch eine persönliche Frage: Welche Rolle spielt Sport in Ihrem Leben, Ihrem Alltag?

Sport hat in meinem Leben von Kindesbeinen an eine große Rolle gespielt. Es ist ein toller Ausgleich für mich auf den Tennis- oder Fußballplatz zu gehen, Mountainbike zu fahren, Stand-up-Paddel zu fahren. Aktiv Sport zu treiben oder als Zuschauer dabei zu sein, ist für mich die beste Möglichkeit zu entspannen. Leider habe ich als Staatssekretär viel zu wenig Zeit, Sport zu treiben. Und: Wenn Zeit ist, verbringe ich sie mittlerweile mehr mit meinen Kindern bei deren Wettkämpfen auf den Sportplätzen. Oder ich sportle selbst mit den Kindern.

Das ist doch etwas Positives, dass sich Eltern und Kinder gemeinsam bewegen.

Es ist fantastisch, mit den Kindern etwas zu unternehmen. Bei mir kommt nur langsam der Moment, z.B. beim Tennis oder Tischtennis, dass mir meine Kinder den Rang ablaufen. Da muss ich mich mental dann doch erst mal noch darauf einstellen, dass ich gegen meine Kinder verliere (schmunzelt). Aber darum geht es natürlich nicht, sondern um das gemeinsame Erlebnis. Das macht so eine Freude.