Liebe Leserinnen und Leser von SPORT in BW,
mir ist schon klar, dass viele von mir bei den Olympischen Spielen in Paris erwarten, dass ich wieder Gold gewinne. So wie vor drei Jahren in Tokio. Darüber mache ich mir aber momentan gar keine Gedanken. Denn die ganzen Hoffnungen und Erwartungen auf eine gute Platzierung liegen nicht in meiner Hand. Schließlich kommt es auch darauf an, was die anderen Athletinnen machen. Sind sie besser? Darüber hinaus limitiere ich mich, wenn ich sage: „Spring sieben Meter, spring sieben Meter, spring sieben Meter.“ Wenn ich dann genau sieben Meter springe, jedoch 7,12 Meter nötig sind, habe ich mir die falsche Anweisung gegeben und mich dadurch selbst eingeschränkt. Stattdessen versuche ich einfach, den bestmöglichen Wettkampf und möglichst viele Dinge richtig zu machen. Das heißt: maximal schnell anlaufen, gut abspringen und die Flugphase optimal verzögern und damit verlängern. Das sind die Dinge, auf die ich mich konzentriere. Erst mit dem zweiten Blick schaue ich: Wofür hat’s eigentlich gereicht? Schließlich habe ich bereits eine sehr glückliche und erfolgreiche Sportlerkarriere.
Während eines Wettkampfes ist mir ein enger Austausch mit meinem Trainer Uli Knapp sehr wichtig. Nach jedem Sprung schaut er sich noch einmal in Zeitlupe die Videos von dem Sprung an: wie war ich bei der Zwischenmarke, welche technischen Elemente kann ich noch verbessern. Danach tauschen wir uns entweder bei ihm in der Coachingzone aus oder er kommt zu mir. Gegebenenfalls wird der Anlauf noch ein wenig angepasst. Oder es gibt einfach die motivierenden Worte: „Mach weiter so.“ Ein guter Trainer ist immer auch so etwas wie ein Mentalcoach. Uli weiß genau, welche Dinge er mir sagen muss, um mich zu stärken und einen besseren Sprung zu ermöglichen. Gerne meditiere ich, sogar auch mal zwischen zwei Sprüngen im Wettkampf. Es geht darum, sich selbst beobachten zu können, damit ich weiß, was gerade in mir vorgeht. Im Wettkampf geht es etwa darum, wie ich mich in der Bewegung gerade treffe: Habe ich den richtigen Hüftwinkel oder nicht? Außerhalb des Sports kann ich so in eine Beobachterrolle schlüpfen um dann Dinge über mich zu lernen. Warum habe ich bestimmte Denkmuster? Und diese aussortieren zu können. Machen mich bestimmte Dinge glücklich? Unterstützen sie mich? Oder sind sie eher hinderlich? Wenn mich etwas behindert, gibt mir Meditation und Selbstreflektion auch die Möglichkeit Wege zu finden, wie ich diese Gedanken und Gefühlsmuster wieder ablegen kann. Ein sehr breites Spektrum an Bewegungsmustern habe ich schon in sehr jungen Jahren erlernt. Weil ich mit dem Mehrkampf begonnen habe, habe ich einerseits eine allgemeine Koordinationsfähigkeit bekommen und gleichzeitig verschiedene Disziplinen ausprobieren können. Noch heute profitiere ich von dieser ganzheitlichen und tiefgründigen Ausbildung. So hätte ich mit 16 Jahren auch in den Hochsprungkader gehen können. Letztendlich hat mir Weitsprung am meisten Spaß gemacht, da habe ich auch mein größtes Potenzial gesehen. Das ist ja das Schöne an der Leichtathletik, dass jeder seine Nische finden kann, die ihm gefällt oder passt.
In der Schule musste ich wegen meiner dunklen Hautfarbe unter Diskriminierungen und rassistischen Anfeindungen leiden. Der Sport hat mir damals ein Umfeld geboten, in dem ich mich anders erfahren konnte, in dem ich andere Erfahrungen gemacht habe. Aber auch dort erfuhr ich Diskriminierung aufgrund unseres sozialen Status. Ich konnte nicht mithalten, weil ich Discounter-Turnschuhe getragen habe im Vergleich zu den anderen Kindern im Training. Gleichzeitig war es viel weniger als in der Schule und damit deutlich angenehmer. Außerdem hat es mir ein Stück weit geholfen, dass Rassismus sowie auch Klassismus nichts mit mir persönlich zu tun haben. Sondern ich habe das Gefühl bekommen, dass man es eh nicht allen recht machen kann. Dieses Wissen hat es etwas leichter gemacht. Als junge Athletin war es für mich immer schön und wichtig, Unterstützung zu erfahren. Wie durch die Stiftung OlympiaNachwuchs. So konnte ich mich auf meine Karriere im Leistungssport konzentrieren. Denn es dauert immer ein paar Jahre, bis man, wenn man das Glück hat, von seinem Sport leben kann. Allerdings haben dieses Privileg auch nicht alle Sportler. Nicht nur weil ich durch meine Erfolge in einer sehr privilegierten Position bin und ich sehr viel Gutes erfahren habe, engagiere ich mich schon seit 2017 sozial und habe 2020 den sozialen Verein „Malaikas Herzsprung“ gegründet. Mir ist der soziale Aspekt sehr wichtig. Ich weiß, wie gut es Kindern tun kann, wenn sie noch ein anderes soziales Umfeld erleben außerhalb der Schule und der Familie, um sich selbst weiterzuentwickeln. Und wie hilfreich der Sport sein kann, um zu lernen, sich mit sich selbst zu messen, sich persönliche Ziele zu stecken und viel über Werte wie Fairplay, Toleranz, Teamgefühl und so weiter zu lernen. Ein weiterer Wert, nicht nur für mich, der immer bedeutender wird, ist Nachhaltigkeit. Deshalb studiere ich Umweltwissenschaften. Meinen Master-Abschluss würde ich gerne noch machen, bevor ich irgendwann in den kommenden Jahren meine sportliche Karriere beende.