Nachdem unterschiedliche Mitteilungen über den aktuellen Sachstand der bundesweiten Leistungssportreform nach der letzten Sportministerkonferenz (SMK) vom 14./15.09.2023 veröffentlicht wurden und viele Diskussion in den Medien stattfanden, wollen wir Ihnen neben den faktischen Beschlüssen auch unsere Sichtweise zur Kenntnis geben. Vorausschicken wollen wir auch den Hinweis, dass nach eigener Auffassung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) die bisherige Zusammenarbeit zwischen dem organisierten Sport und dem BMI nicht effizient, nicht professionell und zu bürokratisch abläuft.

Kenntnisnahme der erarbeiteten Konzeptpapiere

Zunächst möchten wir darauf hinweisen, dass es in der SMK nur zu einer Kenntnisnahme der erarbeiteten Konzeptpapiere und keinesfalls zu einer Verabschiedung gekommen ist. Es enthält eine Reihe offener Fragen, die noch geklärt werden müssen.
Die Mitteilung des DOSB ist deshalb aus unserer Sicht irritierend, auch im Hinblick auf die Diskussion der damit verbunden Zielsetzungen, zumal das vom DOSB angehängte Kurzkonzept nicht beschlossen wurde und eine Zieldebatte in einem parallelen Prozess organisiert werden soll.
Nach dem jetzigen Wissensstand stellen sich für uns als Landessportverband Baden-Württemberg folgende Fragen:

  • Wer wird wie in dieser Zieldebatte beteiligt?
  • Was bedeutet folgende Formulierung im Kurzkonzept: „Um die notwendige Qualitätssteigerung in diesem Sinne sicherzustellen, bedarf es einer stärkeren Ressourcenbündelung und -konzentration, der Zusammenführung von Kompetenz und Verantwortung in den Spitzenverbänden sowie der Kohärenz und Durchlässigkeit zwischen und inner-halb der Strukturebenen“?
  • Was bedeutet Förderung und Steuerung aus einer Hand bzw. was ist hier konkret gemeint: Steuerung über Zuwendungen auf Bundesebene? Oder soll hier eine vertikale Struktur top-down eingeführt werden? Eine Struktur, die aus unserer Sicht weder sinnvoll, funktionsfähig, noch umsetzbar und am Ende möglicherweise auch verfassungswidrig ist?
  • Wie soll die im Kurzkonzept angedachte vertikale Ausrichtung zwischen Bundes- und Landesverbänden aussehen, ohne dass Landesverbände zu nachrangigen Organisationen degradiert werden?
  • Durch welche konkreten Maßnahmen und Veränderungen der Entscheidungsprozesse soll eine Leistungsverbesserung erreicht werden?
  • Ist ein Bürokratieabbau mit der Einsetzung einer unabhängigen Agentur erreichbar und wenn ja, wie?

Wichtig ist, dass neue Strukturmaßnahmen mit unserer föderalen Struktur vereinbar sein müssen! Eine vertikale Struktur widerspricht der Autonomie des Sports. Unsere Mitgliedsorganisationen mit ihren Vereinen und der LSVBW sind eigenständige Rechtspersönlichkeiten.
Wir sind überzeugt: Eine „vertikale Struktur“ bewirkt nicht mehr an Leistung, im Gegenteil, sie verhindert Leistung, verbaut Chancen, verhindert regionale Identität und vor allem Eigenverantwortung gepaart mit Initiative und Innovation. Bundesländer, Landesfachverbände und Vereine sind keine Befehlsempfänger! Über die dadurch verursachte Demotivation der Verbände und Vereine sowie ihren engagierten Mitarbeitern wollen wir an dieser Stelle gar nicht reden, da dies den Rahmen sprengen würde.
Individualisierung ist gefragt – gerne gepaart mit Konzentrierung, statt Zentralisierung- und entspricht den aktuellen gesellschaftlichen Gegebenheiten. Wenn wir einerseits mündige Sportler in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützen wollen, ist es kontraproduktiv andererseits zu „delegieren“ und „fremdbestimmen zu wollen. Zentren, an die Athleten aus freien Stücken hin gehen, sind gewünscht – aus Überzeugung, nicht aus Zwang. Drohungen, ansonsten den Kaderstatus zu verlieren, sind motivationshemmend. Es sollte immer die erbrachte Leistung im Mittelpunkt stehen und relevant sein. Wenn dies über eine Agentur erreicht werden kann, dann ja. Wenn anderes beabsichtigt ist: Nein! Eine Stärkung regionaler Strukturen z.B. über die Olympiastützpunkte (OSP), durch die die Sportler in ihrem jeweiligen Umfeld bestmöglich unterstützt werden, ist dabei unabdingbar, um eine erfolgreiche Spitzensportförderung zu sichern. Über Jahrzehnte hat sich in unserer Gesellschaft das bestehende System der Subsidiarität bewährt, ebenso wie kleine Trainer-Athleten-Einheiten.

PotAS

In diesem Zusammenhang ein Wort zur Potenzialanalyse (PotAS): Der Gedanke, die Quantifizierung von Medaillenpotenzialen vorzunehmen, mag verlockend sein. Realistisch ist dies jedoch aus unserer Sicht nicht. Vielmehr herrscht hier Intransparenz bzgl. der Algorithmen, die suggerierte Validität ist höchst zweifelhaft. Die Sportartspezifik wird nicht berücksichtigt, obwohl dies ein entscheidendes Kriterium darstellen muss.
Ganz zu schweigen von einem gesellschaftlichen Impact der Sportart, den es aus unserer Sicht zu berücksichtigen gilt, was allerdings nicht erfolgt.
Alles zusammen genommen stellt PotAS den verzweifelten Versuch dar, DIN-Normen für den Sport zu formulieren und zu etablieren und ist in seiner Gesamtheit in Frage zu stellen. Zumal auch die Transformationsregeln, sprich die Übertragung der Ergebnisse von PotAS in konkrete Fördersummen der jeweiligen Sportart nicht bekannt bzw. transparent kommuniziert sind. Normieren lässt sich im Spitzensport nichts. Oberste Maxime bei Veränderungen muss stets sein, dass der Athlet im Mittelpunkt steht. Es werden immer individuelle Lösungen gefragt sein, weil wir mit Menschen arbeiten.
Deshalb gilt es, ein nachvollziehbares, transparentes Bewertungssystem für den Spitzensport in Deutschland zu entwickeln, und dies mit Experten, die in Fragen der Organisationberatung/-steuerung im heterogenen und föderalistisch organisierten Sport nachgewiesene Expertise haben. Hier gilt es einen Neuanfang in die Wege zu leiten.
Entscheidende kurzfristige Schwerpunkte aus unserer Sicht sollten sein:

  • Trainerbezahlung: Eine faire und gerechte Bezahlung des Leistungssportpersonals ist auch auf Bundesebene notwendig. Es muss allerdings auch erwähnt werden, dass dies bereits jetzt erfolgen kann, wenn dazu Eigenmittel eingesetzt und der Titel auf Deckungsfähigkeit geprüft und umgestellt wird, wie wir es in Baden-Württemberg schon länger handhaben und uns mit unserem Berufsbild für das Leistungssportpersonal verpflichtend umsetzen.
  • Investitionen: Die geplanten Kürzungen im Bundeshaushalt, die Investitionen in Trai-ningsstätten und in die Trainingsstättenförderung betreffen sollten zurückgenommen werden und v.a. für dringend notwendige Investitionen an den bestehenden und anerkannten Stützpunkten eingesetzt werden.
  • Olympiastützpunkte (OSPe): Die OSPe, in denen teilweise hervorragende Arbeit ge-leistet wird, sind unseres Erachtens nicht in die Förderkulisse einbezogen. Dies gilt es zu ändern! Eine wirklichkeitsnahe Basisförderung vor Ort sollte bereitgestellt werden. Der Leistungsgedanke wird bei der Zuweisung der Basisförderung bisher nicht berück-sichtigt! Dies gilt es auszugleichen und zu ändern, und dies für alle OSPe in Deutschland.
  • „Neues“: Auf keinen Fall dürfen existentielle Aufgaben – besonders solche, die die Spitzenverbände und die Serviceeinrichtungen (OSP) für Athleten betreffen – finanzielle Einbußen erleiden (s.o.). Außerdem sind neue Instrumente, die finanzwirksam werden können, wie die geplante „Agentur“, das „Safe Sport Zentrum“ in Frage zu stellen. Bereits bestehende Instrumente, wie z.B. PotAS, die schon finanzwirksam sind, sind ebenfalls zu überprüfen Die bisher bestehende Finanzierung von Aufgaben auf Bundesebene im nationalen Interesse sollten in jedem Fall Vorrang haben, bevor „Neues“ hinzukommt.

Die sind unsere aktuellen Anmerkungen. Wir werden diese Fragen und Punkte in die weitere Diskussion einbringen und vertreten.