Es wirkt wie ein Katapultstart in Sachen Popularität. Weltmeisterschaften 2023 in der Rhythmischen Sportgymnastik in Valencia. Selbstverständlich war Darja Varfolomeev mit dem Ziel hingereist, ihren Titel mit den Keulen aus dem Vorjahr zu verteidigen. Doch wenn’s nicht geklappt hätte, wäre dies auch kein Beinbruch gewesen. „Keiner hat von uns etwas erwartet“, erläutert ihre Trainer Yuliya Raskina heute, „alles war ganz leicht, wie ein Spiel.“ Die damals 16-jährige Gymnastin hat den Titel mit den Keulen nicht nur zum zweiten Mal gewonnen, sondern noch vier weitere Goldmedaillen – mit dem Ball, dem Reifen sowie dem Band. Und im Mehrkampf. Plötzlich war Darja Varfolomeev eine Hoffnungsträgerin im Vorfeld der Olympischen Spiele 2024 in Paris.

Gefordert war von diesem Moment an auch die Trainerin Raskina. Auch für die gebürtige Weißrussin, die selbst als Gymnastin Olympia-Silber und fünfmal bei Weltmeisterschaften den zweiten Platz belegt hatte, war dies eine neue Situation. „Danach war es unsere Aufgabe zu beweisen, dass wir zurecht an der Spitze stehen“, sagt die 42-Jährige. Mit Stolz berichtet sie: „Wir haben unser Niveau nicht nur gehalten, wir haben es sogar noch angehoben.“ Den Beleg dafür erbrachte nicht nur Darja Varfolomeev mit ihrem Olympiasieg in Paris. Auch Trainingskollegin Margarita Kolosov konnte mit dem vierten Platz überzeugen. Der Stolz bei der Perfektionistin Raskina über diese Leistungen ist auch Monate danach noch zu spüren.

Als Yuliya Raskina vor zehn Jahren am Gymnastik-Stützpunkt Fellbach-Schmiden angefangen hat, musste sie Schritt für Schritt etwas aufbauen. „Wir haben hart gearbeitet, haben jeden Tag alles gegeben, um den nächsten kleinen Schritt nach vorne zu machen“, erzählt sie. Bei allen Fortschritten, hört es sich auch nach Sisyphusarbeit an. „Egal, was wir erreicht haben, am nächsten Tag geht es wieder von vorne los.“ Sie selbst charakterisiert sich als kontinuierliche Arbeiterin. Bei der täglichen Arbeit orientiert sich Raskina daran, wie sie während ihrer Karriere als Gymnastin behandelt wurde. Und dies so nicht wollte. „Ich verstehe meine Schülerinnen besser, weil ich weiß, was ich als Sportlerin nicht hören wollte“, erklärt sie. Dies hat Margarita Kolosov in einer Laudatio so ausgedrückt: „Sie unterstützen uns stets positiv und bauen uns auf, wenn es mal nicht wie geplant läuft. Bei aller Disziplin, die man in unserer Sportart braucht, sind Sie in der Lage, ein Lachen zu behalten und Sie können auch über sich selbst lachen.“

Yuliya Raskina will nicht die Freundin ihrer Gymnnastinnen sein, aber eine Vertrauensperson

Allerdings wendet sich Raskina strikt gegen die Bemerkung, die ihre Sportlerin in der Laudatio auch geäußert hat. „Eine Freundin – das bin ich auf gar keinen Fall. Ich bin auch nicht ihre Mutter, aber ihre Vertrauensperson“, definiert sie ihre Rolle, „wir verbringen sehr viel Zeit miteinander. Ab und zu braucht man Abstand, sonst gibt es Stress. Aber wir haben eine gute Balance gefunden.“ Deshalb bedeutet dies nicht, dass sie sich nicht um Themen außerhalb der Gymnastikhalle kümmert. „Wenn ich mitbekomme, dass irgendwas in der Schule schlecht läuft, dann frage ich nach und versuche zu helfen.“ Denn nur dann können sich die Gymnastinnen komplett aufs Training konzentrieren.

Ansonsten erwartet sie von ihren Gymnastinnen trotz ihres meist noch jungen Alters Mündigkeit. Und einen inneren Antrieb. „Pushen? Das tue ich nicht. Die Turnerinnen machen es für sich selbst. Wer nicht will, der muss nicht.“ Mit Gold in Paris sind Darja Varfolomeev und ihre Trainerin Yuliya Raskina auf dem Gipfel des Olymps angekommen. „Der Olympiasieg bedeutet auch Druck, die Erwartungen werden höher“, weiß die Trainerin. Neben dem Training versucht sie, dass diese gewachsene Aufmerksamkeit so wenig Einfluss auf die tägliche Arbeit wie möglich hat. Denn das nächste Ziel haben Raskina, Varfolomeev und Kolosov längst im Visier: Die Olympischen Spiele in Los Angeles. Die Aufgabe der Trainerin: „Ich will weiter Daschas und Margas Style suchen. Was klappt? Was klappt nicht?“ Auf das Ergebnis darf man gespannt sein.