Es ist mittlerweile eine schöne Tradition, dass wenige Wochen nach den Olympischen Spielen in derselben Stadt die paralympischen Athletinnen und Athleten ihre Wettkämpfe austragen. Vom 28. August bis 8. September trafen sie sich in Paris. Der Landessportverband Baden-Württemberg (LSVBW) als Träger der Olympiastützpunkte in Baden-Württemberg kann positiv zurückblicken und beglückwünscht die baden-württembergischen Athletinnen und Athleten und deren Trainer- und Betreuerteams zu tollen Leistungen. Mit 17 Sportlerinnen und Sportler sowie einem Guide war Baden-Württemberg im Team Deutschland gut vertreten. Fünf davon brachten eine Medaille mit nach Hause, neun weitere können stolz über Platzierungen zwischen Platz vier und acht sein.

Maurice Schmidt fühlte sich „wie in einem Film“. Oder wie in einer Achterbahn. Zuerst gewann der Rollstuhlfechter aus Böblingen Golf im Säbelfechten. „Ich weiß nicht, was heute passiert ist, es lief einfach alles perfekt. Es hat jede Aktion geklappt“, jubelte er nach seinem großen Coup in der Nacht zum Mittwoch (4. September), „was ich geplant habe, hat funktioniert. Ich hatte auch komplettes Selbstvertrauen.“ Dies wollte er sich auch für den Wettbewerb mit dem Degen, eigentlich seiner stärkeren Disziplin, bewahren. Doch da war für den 25-Jährigen im Achtelfinale Endstation. „Das, was in den letzten zwei, drei Tagen passiert ist, das war so brutal für mich. Der positive Stress nach der Goldmedaille hat mich einfach überfordert“, sagte Schmidt nach seiner Niederlage und ergänzte: „Ich wusste zwar, was ich machen will, aber das hat nicht alles funktioniert.“ Wenig Schlaf, viele Medienanfragen, Freunde und Familie, die ihn feiern wollten – all das hatte der jungen Fechter zu bewältigen. Doch schon wartete der nächste Höhepunkt auf den Studenten der Umwelttechnik. Gemeinsam mit Elena Krawzow, der sehbehinderten Paralympicssiegerin über 100 Meter Brust, durfte er die deutsche Fahne bei der Abschlussfeier ins Stade de France tragen.

Maike Hausberger steigerte sich von Wettkampf zu Wettkampf. Nach Platz vier in der Einerverfolgung über 3000 Meter gewann die 29-Jährige Bronze im 500-Meter-Zeitfahren in der persönlichen Bestzeit von 38,358 Sekunden. Nicht zu schlagen war Hausberger, die mit einer halbseitigen Lähmung der linken Körperhälfte (Spastische Hemiparese links) geboren wurde, im Zeitfahren auf der Straße – Gold. Im Straßenrennen kam sie noch auf Platz neun. Nach ihrem Goldrennen sagte die Radfahrerin, die für den BPRSV Cottbus startet: „Ich habe viel verändert, bin in die Nähe von Stuttgart umgezogen, trainiere jetzt bei Markus Wähner. Am Olympiastützpunkt Stuttgart wurde ich toll aufgenommen.“

Dort trainiert Lara Baars schon längere Zeit. Die kleinwüchsige Athletin aus den Niederlanden, die für den VfB Stuttgart startet, gehört der Trainingsgruppe von Coach Peter Salzer an. Mit einer Weite von 9,10 Meter gewann sie Gold.

Diese Medaille war auch das große Ziel ihres Trainingskollegen Niko Kappel. Der Weltrekordler, der im Mai 15,07 Meter gestoßen hatte, gewann in Paris Silber und machte nach Gold (2016) und Bronze (2021) seinen persönlichen Medaillensatz komplett. Mit 13,74 Metern blieb Kappel hinter seinem Dauerrivalen, dem Usbeken Bobirjon Omonov, der mit 14,32 Metern siegte. In der ersten Enttäuschung sagte der Athlet des VfB Stuttgart: „Ich muss sagen, ich habe Gold verschenkt. Der zweite Platz ist definitiv nicht das, was ich erreichen wollte.“ Nachdem er eine Nacht geschlafen hatte, hatte sich seine Perspektive verändert: „Der Zweitbeste der Welt zu sein ist schon etwas Besonderes und ein bisschen Motivation für die Zukunft muss ja auch noch bleiben.“

Lange auf seinen Wettkampf warten musste Judoka Lennart Sass. Und der 24-jährige Rendsburger, der am Olympiastützpunkt Metropolregion Rhein-Neckar trainiert, lieferte. In der Klasse bis 73 Kilogramm belohnte er sich mit der Bronzemedaille. Dabei wäre für den sehbehinderten Kämpfer (J1)auch mehr möglich gewesen. Im Halbfinale führte er 34 Sekunden vor Kampfende 1:0, als der Kampfrichter einen Wurftechnik von Sass als gefährlich ahndete. Seine Einstufung: Bei diesem Wurf wäre das Körpergewicht seines Gegners auf der Halswirbelsäule des Deutschen gelegen, wenn Sass die Matte mit dem Kopf berührt – eine selbstgefährdende Aktion. Bundestrainerin Carmen Bruckmann: „Lennarts Kopf berührte zwar die Matte, aber er hatte überhaupt kein Gewicht auf dem Nacken. Eine fragwürdige Entscheidung.“ Sass ließ sich nicht entmutigen, für ihn sei das Bronze-Match das neue Finale um die Goldmedaille gewesen.

Lediglich sechs Hundertstelsekunden fehlten dem gemischten Vierer mit Steuerfrau zur Bronzemedaille. Zum Team gehörte neben Susanne Lackner (Mannheimer RV Amicitia) auch Steuerfrau Inga Thöne (Ulmer Ruderclub Donau). „Als wir über die Ziellinie gefahren sind, wussten wir nicht, wer vorne ist – Frankreich oder wir“, schilderte Thöne den Zieleinlauf, „jetzt sind die Franzosen um sechs Hundertstel besser – das ist ärgerlich.“

Auf fünfte Plätze haben sich das baden-württembergische Tischtennis-Trio Jana Spegel, Thomas Brüchle und Björn Schnake eingeschossen. Wobei Brüchle zweimal Fünfter wurde – im Einzel (MS3) und im Mixed-Doppel (XD7) mit Sandra Mikolaschek.

In einem packenden Duell im Spiel um Platz fünf mussten sich die deutschen Rollstuhlbasketballerinnen letztlich Großbritannien 39:48 (8:11, 6:9, 16:11, 9:17) geschlagen geben. Mit zum Team gehörte Amanda Fanariotis (RKSV Tübingen). Nicht eingesetzt im Finale wurde Marie Kier (RSB Thuringia Bulls). Wie bei seiner Paralympics-Premiere 2021 in Tokio beendete Yannis Fischer seinen Wettkampf wieder auf Platz sechs. Der kleinwüchsige Kugelstoßer (F40) vom VfB Stuttgart, der vor einem Jahr in Paris Weltmeister geworden war, kämpft seitdem mit Bandscheibenproblemen. „Am Ende Platz sechs wie in Tokio – so habe ich mir das nicht vorgestellt, auch wenn ich froh bin, dass ich überhaupt dabei sein konnte“, sagte Fischer, der dennoch etwas Positives mitnehmen konnte: „Es hat mich mega gefreut, dass das Stadion voll ist, ich hatte gehofft, dass es mich im Wettkampf trägt. Aber auch so ist es toll, dass die Leute so sportbegeistert sind, dass sie die Paralympics feiern und unterstützen, das ist auf jeden Fall ein schöner Weg.“

Ein wenig anders hatte sich Rollstuhlfahrerin Merle Menje ihre Ergebnisse in Paris schon vorgestellt. Platz sieben über 5000 Meter und Neunte im Marathon. Über die 800 und 1500 Meter war die dreifache Weltmeisterin im Vorlauf unglücklich ausgeschieden. „Ich hatte schwierige Bahnwettkämpfe“, schildert die 20-jährige Athletin vom StTV Singen ihre Probleme: „Ich musste mich jeden Tag wieder neu fokussieren, um zu schauen, dass ich doch wieder positiv rangehe, um das Bestmögliche aus den Rennen zu holen. Deshalb habe ich mir so, so sehr einen schönen Abschluss gewünscht, um doch positiv auf die Spiele zurückzugucken und damit bin ich sehr, sehr happy.“

Schon die Qualifikation war für das Rollstuhlrugby-Team ein Erfolg. Schließlich war die Mannschaft 2008 zum letzten Mal für die Paralympischen Spiele qualifiziert. Entsprechend motiviert ging Moritz Brückner (Donauhaie Illerrieden) mit seinen Mannschaftskolleginnen und -kollegen in das Turnier. Leider konnten sie kein Spiel gewinnen – Platz acht.

In Erinnerung wird ihnen allerdings bleiben, was Niko Kappel so beschrieb: „Die Stimmung ist mega. Es war unfassbar. Die Leute feiern alle, sind mega fair. Ich habe mich wie zu Hause gefühlt.“

Hintergrund:

Als baden-württembergische Para-Athletinnen und -Athleten werden jene gezählt, die ihren Trainings- und Lebensmittelpunkt grundsätzlich in Baden-Württemberg haben und von den drei Olympiastützpunkten Freiburg-Schwarzwald, Metropolregion Rhein-Neckar und Stuttgart betreut werden.