Darauf ist Michael Kühner besonders stolz. „Ich bin der erste Trainer im Fechten mit der B-Lizenz“, sagt der Fechtcoach des Polizeisportvereins (PSV) Stuttgart. Die Prüfung im Jahr 1975 war auf einen Samstag angesetzt, da Kühner am Prüfungstag allerdings in seinem Beruf als Kriminalbeamter in Stuttgart dringend gebraucht wurde, durfte er den Test einen Tag früher als seine Lehrgangskollegen ablegen. Natürlich mit Erfolg.
Seitdem steht der mittlerweile 76-jährige Florettspezialist regelmäßig auf der Planche. Mittlerweile noch dreimal in der Woche. Jeweils mehr als drei Stunden. „Wenn keine Turniere sind, biete ich am Samstag oder Sonntag noch ein Sondertraining an“, berichtet er. Wenn Kühner mit dem PSV-eigenen Bus an den Wochenenden mit seinen Fechtern auftaucht, fragen ihn seine Trainerkollegen regelmäßig, warum er sich das Training und die Reiserei immer noch antue? Seine simple Antwort: „Das Tolle ist, dass ich nicht Trainer sein muss, sondern dass es meine Leidenschaft ist.“ Und fügt fast entschuldigend an: „Ich bin fecht-süchtig.“
Auf die 50 Jahre, davon 33 Jahre auch als Abteilungsleiter, in denen Michael Kühner als Trainer tätig war, hat er einiges erreicht. Zum einen auf sportlicher Ebene. 1981 war ein zwölfjähriges Mädchen zu ihm ins Training gekommen. Sieben Jahre später, dann allerdings nach einem Wechsel zum Fechtclub Tauberbischofsheim, gehörte Annette Klug, heute Annette Wolf, zu dem Team, das bei den Olympischen Spielen in Seoul Olympiasieger wurde. Zu diesem Team gehörten noch Anja Fichtel, Zita Funkenhauser, Sabine Bau und Christine Weber. Aktuell befinden sich unter den 120 Mitgliedern der PSV-Fechtabteilung wieder zwei Sportler mit außergewöhnlichem Talent. Kirill Schimann wurde im vergangenen Jahr deutscher U15Meister. Mannschaft bei den Junioren-Weltmeisterschaften Bronze. Insgesamt haben seine Athletinnen und Athleten etwa 30 Medaillen bei Deutschen Meisterschaften gewonnen.
Doch internationale oder nationale Titel zu erringen sind nicht das vorrangige Ziel von Michael Kühner. Anerkennend sagt sein Sohn Ludwig, der mittlerweile die Abteilungsleitung übernommen hat: „Es ist eine Freude, ihm zuzusehen, wie er kleinen Kindern mit viel Geduld die einzelnen Übungen des Fechtens beibringt.“ Der Trainer erklärt: „Für mich ist es genauso wichtig, wenn ein weniger talentierter Fechter ein Gefecht bei einem kleinen Turnier gewinnt.“ Auch bei diesem steht er neben der Planche, fiebert mit und feuert an. „Ich bin als Trainer ein sehr emotionaler Typ“, beschreibt sich Kühner selbst. Und wagt einen Vergleich: „Ich würde mich als Typ Kloppo einordnen.“ Also so leidenschaftlich wie Fußballcoach Jürgen Klopp.
Die Basis für die aktuellen Erfolge hat Michael Kühner auf sportpolitischer Ebene gelegt. Weil er bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 den Polizeieinsatz am Spielort Stuttgart geleitet hat, hatte er häufig mit Stuttgarts damaliger Sportbürgermeisterin Susanne Eisenmann zu tun. Und so hat er es geschafft, dass beim Umbau des Stadions in eine Fußballarena auch eine Fechthalle in der neuen Sporthalle in der Untertürkheimer Kurve eingeplant wurde. „Darauf bin ich besonders stolz“, sagt er. So kann beim PSV Stuttgart „fast unter profimäßigen Bedingungen“ trainiert werden. Die Halle ist Leistungsstützpunkt der Interessengemeinschaft Fechten Baden-Württemberg (IGF) und vom Deutschen Fechterbund als Bundes-Nachwuchsleistungszentrum zertifiziert.
Neben dem maximal sportlichen Erfolg versucht Michael Kühner seinen Schützlingen aber auch Erlebnisse zu vermitteln, die ihnen in ihrem weiteren Lebensweg weiterhelfen. „Sie müssen lernen, mit Niederlagen umzugehen, aber auch bei einem Sieg auf dem Boden zu bleiben“, erklärt er, „Sport ist ein Geben und Nehmen.“ Deshalb teilt er seine Athletinnen und Athleten auch bei kleineren Turnieren als Kampfrichter ein. Weil der ehemalige Polizist sein Motto „verlange nie etwas, was Du nicht bereit bist, selbst zu bringen“ vorlebt, erlaubt er sich auch, seine Sportlerinnen und Sportler zu fordern. „Sie wissen, dass ich immer hinter ihnen stehe“, sagt er, der für alle, vom Neun- bis zum 80-Jährigen nur der Michi ist. Nur eines dürfe man nicht tun: „Demütigen darf man sie nicht.“
Neben der Liebe zum Fechten sei die „Familie des Sports“, wie Kühner seine Fechtabteilung bezeichnet, ein guter Ausgleich zu seinem Beruf als Kommissar bei der Sitte und Mordkommission gewesen, „bei dem ich nur das Schlechte gesehen habe“. Wie lange Michael Kühner noch auf der Planche stehen wird? Das Signal, wann der richtige Moment gekommen ist, sei, „wenn ich bei einem Turnier nicht mehr mitfiebere, mein Puls nicht mehr nach oben geht, dann ist mein Feuer erloschen“. Noch aber brennt die Flamme. Deshalb erhält Michael Kühner beim Trainerpreis BadenWürttemberg 2024 den Sonderpreis der BARMER.