Baden-Württemberg übernimmt vom 1. Januar 2025 an eine führende Rolle im deutschen Sport. Das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg führt den Vorsitz in der Sportministerkonferenz. Und der Landessportverband Baden-Württemberg (LSVBW) in der Konferenz der Landessportbünde. Sportministerin Theresa Schopper und LSVBW-Präsident Jürgen Scholz sprechen über ihre Pläne.

Frau Ministerin Schopper, Herr Scholz, im Sommer haben die Olympischen und Paralympischen Spiele in Paris stattgefunden. Was haben Sie von den einzelnen Wettkämpfen mitbekommen?

Schopper: Bei manchem sportlichen Highlight habe ich den Fernseher angeschaltet. Yemisi Ogunleye war einfach gigantisch. Das sind so Gänsehautmomente. Zu den Paralympischen Spielen wollte ich unbedingt selbst vor Ort sein, weil ich es wichtig finde. Die Paraathletinnen und -athleten bekommen eine andere Wertschätzung als früher, das merkt man von Jahr zu Jahr. Auch bei den Paralympischen Spielen sind die Stadien jetzt voll, die Athletinnen und Athleten wurden genauso wertgeschätzt. Das ist einfach toll.

Scholz: Mich hat das 3×3-Basketball der Frauen so richtig begeistert. Ebenso wie Annett Kaufmann im Tischtennis, wie die als Nachrückerin die Mannschaft gerockt hat. Und Niko Kappel ist in der Trainingsgruppe von Peter Salzer inkludiert. Es ist toll, wie problemlos so etwas mit Paraathleten und Menschen ohne Handicap funktionieren kann.

Schopper: Ein Bild habe ich noch von unserer Sportgymnastin Darja Varfolomeev vor Augen. Es ist der Wahnsinn, welche Ausdrucksfähigkeit sie mit ihren 17 Jahren schon hat.

Scholz: Und was man nicht vergessen darf: Sie stand aufgrund ihrer Ergebnisse als fünffache Weltmeisterin gehörig unter Druck. Ich habe mit ihr in Schmiden beim 40-Jahr-Jubiläum des Stützpunktes gesprochen. Sie ist im Gespräch eine ganz zurückhaltende junge Frau, aber auf der Matte explodiert sie.

Wie fällt Ihr Fazit zum Abschneiden des Team D und des Team BW aus?

Schopper: Bundesweit gehen wir im Ranking des Medaillenspiegels Stück für Stück nach unten. Als Baden-Württemberg können wir dagegenhalten. Wir sind diejenigen, die viel zu den guten Ergebnissen beigesteuert haben. In der langen Phase vom Talent bis zum Spitzensportler, der bei Olympischen und Paralympischen Spielen startet, machen wir schon etwas richtig.

Scholz: National absolut d‘accord. Deswegen brauchen wir eine Spitzensportförderung, die anders ist als die der letzten Jahrzehnte. Wir haben festgestellt, dass viele Nationen aufgeholt und viel besser geworden sind, teilweise auch durch Trainer mit deutschem Knowhow. Die Erlebnisse, die die Sportlerinnen und Sportler bei Olympia gehabt haben, zeigen, dass wir in Baden-Württemberg auf einem richtigen Weg unterwegs sind. Seit vielen Jahren wird über eine neue Struktur für den Leistungssport in Deutschland diskutiert.

Wie steht das Land zur Spitzensportreform mit der übergeordneten Sportagentur?

Schopper: Man muss sehen, dass in den Spitzensport vom Bund noch einmal deutlich mehr Geld geflossen ist. Trotzdem konnten wir nicht reüssieren. Das Gegenteil war der Fall: Insgesamt sind wir im Spitzensport nicht mehr die erste Adresse. Von daher ist schon die Frage erlaubt, was ist nicht so gut gelaufen? Mit dem Potenzialanalyse-System PotAS hat man versucht die Sportarten mit dem größten Potenzial auszumachen. Damit ist man auch nicht zum Ziel gekommen. Man merkt, dass wir national viele Fragen und wenig Antworten haben. Bezüglich der Sportagentur hat sich die Sportministerkonferenz einige Beispiele aus England, den Niederlanden oder Norwegen angeschaut, die im Spitzensport erfolgreich sind.

Was machen diese Länder anders?

Schopper: Klar ist Norwegen ein Wintersportland, aber die sind auch in der Leichtathletik und diversen Mannschaftssportarten an der Spitze. Bei den Franzosen und Briten war sehr deutlich, dass dort im Vorfeld der Olympischen Spiele im eigenen Land ein konsequenter Aufbau stattgefunden hat.

Kann man von diesen Ländern lernen?

Schopper: Sicher in dem Punkt, dass wir uns nochmal kritisch unsere Strukturen anschauen sollten. Der DOSB ist zuständig für den Bereich des Spitzensports. Für den Nachwuchssport zeichnen wir Länder verantwortlich. Da gab’s nach den ganzen Inputs in der Sportministerkonferenz durchaus Überlegungen, ob man das abkoppeln muss von den bisherigen Strukturen.

Scholz: Das vorliegende Sportfördergesetz und die Agentur wären eine Bankrotterklärung des DOSB, man entzieht dem Sport seine Kompetenz in der Führung und Leitung des Spitzensports sowie seine Autonomie. Als LSVBW haben wir zum Sportfördergesetz bei der Konferenz der Landessportbünde etliche Anmerkungen gemacht. Ich teile die Meinung der Ministerin, dass wir das System auf den Prüfstand stellen müssen und wirklich analysieren, woran es liegt, dass wir nicht mehr so erfolgreich sind. Veränderte Strukturen haben allerdings per se noch keine Sportlerin oder Sportler erfolgreicher gemacht, da gehört mehr dazu. Zum Beispiel sollten optimierte Rahmenbedingungen für Athleten und Trainer im Mittelpunkt stehen – vor Ort, wo die Leistung entsteht. Das versuchen und machen wir in Baden-Württemberg schon seit längerem.

Sie haben in den kommenden zwei Jahren die Chance, diesen Strukturwechsel mitzugestalten. Denn Baden-Württemberg übernimmt mit dem Jahreswechsel den Vorsitz in der Sportministerkonferenz. Und der LSVBW in der Konferenz der Landessportbünde.

Scholz: Zugesichert ist bereits eine enge Zusammenarbeit. Uns gibt dies auch die Möglichkeit, in dieser Phase Sportpolitik auf Bundesebene noch aktiver zu begleiten.

Favorisiert wird in der neuen Reform eine Zentralisierung der Spitzenathleten, wie sie in China praktiziert wird. Was spricht dagegen?

Schopper: Es gibt natürlich Sportarten, die kann man nur an einem bestimmten Ort ausüben, allein wegen der Spezialtrainingsstätten. Wenn ich Kanuslalom mache, dann muss ich einfach nach Augsburg. Ich sehe es auch ein bei Sportarten, wie die Gruppe in der Rhythmischen Sportgymnastik, wo man schon schauen muss, an welchen Stützpunkten man die Teams bildet. Ab einem gewissen Alter werden die Kinder von zuhause weggehen müssen, um z. B. hochklassig Handball spielen zu können. Oder auch Eishockey. Man muss auch die Frage nach der qualifizierten Trainerschaft immer im Auge haben. Ein Hauptaugenmerk muss darauf liegen, dass die Kinder und Jugendlichen schon auf den unteren Ebenen bei den Trainern in guten Händen sind. Nur mit qualifizierten Trainern schon auf Kreisebene werden die Talente erkannt und diese auch entsprechend gefördert. Aber wir wissen auch, dass es Kaderschmieden wie Magdeburg im Schwimmen oder Hockey in Mannheim gibt. Es gibt aber auch Kinder, die sagen, dass sie nicht weg gehen wollen und dies dann auch bewusst so sagen. Für die brauchen wir dann auch Antworten, wenn wir sie weiter fördern wollen.

Zum Schuljahr 2026/27 greift der Rechtsanspruch auf Ganztagsförderung in der Grundschule. Bietet dies nicht die Chance, die alte Forderung nach täglicher Sportzeit umzusetzen?

Schopper: In Baden-Württemberg sind wir im Prinzip schon gut aufgestellt. In Ergänzungsbereichen gibt es aber sicher noch ein wenig Nachholbedarf. Bewegung spielt in den Grundschulen eine große Rolle. Wenn man sich aber die Kinder in der Sporthalle anschaut, sieht man, dass bei vielen Sport oder Bewegung generell keine Selbstverständlichkeiten sind. Da haben sich die Interessensgebiete verlagert. Da ist Zocken am Computer attraktiver. Wichtig ist, den Kindern Bewegungsfreude und vor allem mal ein mehr an Bewegung zu ermöglichen. Eigentlich sind sie total bewegungsaffin. Trotzdem erleben wir, dass elementare Qualifikationen nicht mehr selbstverständlich sind. Dazu gehört, dass Kinder immer weniger auf einem Bein hüpfen oder rückwärtslaufen können. Wir brauchen wieder mehr Spaß an der Bewegung!

Scholz: Wir vom Landessportverband sind der natürliche Partner, um Kinder in Bewegung und dann zum Sport zu bringen. Fakt ist auch, dass wir Kinder haben, die Bewegung von zuhause aus nicht mehr mitbekommen. Aus sportlicher Sicht ist es eine Chance für unsere Vereine, sich gemeinsam mit den Schulen auf den Weg zu machen. Wichtig ist, dass wir starten! Wenn wir noch nicht genügend qualifiziertes Personal für die Sport- und Bewegungsangebote haben, dann qualifizieren wir sie im Laufe der Zeit. Aber wir brauchen auch Menschen, die sich das zutrauen.

Schopper: Wir haben schon ganz gute Vorläuferprojekte wie das Freiwillige Soziale Jahr „Sport und Schule“, bei dem die Mitwirkenden zu 70 Prozent an der Schule und zu 30 Prozent im Verein tätig sind. Man merkt auch, dass das für beide Seiten einen positiven Effekt hat. Wir monetarisieren auch Lehrerstellen, sodass der Unterricht, der nicht von Lehrer gehalten wird, abgegeben und von qualifiziertem Personal gehalten werden kann. Das bietet sich im Sport, wie auch im Musik- und Kunstbereich, geradezu an. Viele Sportvereine stehen für Kooperationen bereit. Allerdings kann der organisierte Sport nur dann ein großer Player werden, wenn es endlich zu einer Verständigung zwischen den Kommunalen Landesverbänden und dem Land über die Finanzierung kommt.

Bis wann können die Vereine mit einem verlässlichen Plan rechnen?

Schopper: Der Rechtsanspruch greift zum Schuljahr 2026/2027 ab der ersten Klasse. Etwa 50 Prozent der Schulen befinden sich bereits im Ganztag, wo wir Kooperationen haben könnten. Für den Rechtsanspruch erhöhen wir die Monetarisierungsquote von 50 auf 70 Prozent, sodass man mehr Gelder einsetzen kann. Es gibt nach wie vor Gesprächsbedarf mit der kommunalen Seite. Etwa wie eine Koordinierung funktionieren kann, wenn mehrere Schulen an einem Ort sind. Das gilt für die Sportvereine, aber auch für Musik- oder Gesangsvereine. Das ist komplex, weil dies in jeder Stadt, in jeder Gemeinde unterschiedlich ist. Wir werden mit Handreichungen zu den notwendigen Rahmenbedingungen unterstützen: an wen kann ich mich wenden kann, wie funktioniert was, mit welchen Kosten muss man kalkulieren, welche Versicherungslösungen braucht es, usw.

Scholz: Ganz wichtig ist, dass wir starten und dann das System nach und nach nachjustieren.

Zurück zur Bundespolitik: In Berlin entsteht ein Safe-Sport-Zentrum. Ist das sinnvoll? Oder sind bestehende Anlaufstellen vor Ort nicht besser?

Schopper: Wichtig ist zunächst einmal das Signal, dass es hier keine Toleranz gibt und dass die Gesellschaft dieses Thema wichtig nimmt. Wir sind bei uns in Baden-Württemberg gut aufgestellt. Die Menschen sollen darauf vertrauen können, dass wir interpersoneller Gewalt oder Ausnutzung von Machtpositionen nachgehen.

Scholz: Die Aktivitäten des LSVBW mit und durch seine Sportjugend in der Prävention sind beachtenswert! Wir werden dabei nicht nachlassen.