Margarete Lehmann brennt fürs Ehrenamt. Seit vielen Jahren steht die Oberschwäbin aus Seitingen-Oberflacht dem Sportkreis Tuttlingen vor. Im Landessportverband Baden-Württemberg (LSVBW) ist die gelernte Verwaltungswirtin für die Finanzen zuständig und führt den „Ausschuss Frauen und Gleichstellung im Sport“. Doch so forsch sind nicht alle Frauen. „Frauen sind viel selbstkritischer, hinterfragen sich zigmal und prüfen von zehn Positionen, ob sie die auch alle erbringen können“, berichtet sie im Gespräch mit „Sport in BW“.

Frau Lehmann, als Sie vor vier Jahren als Vorsitzende des „Ausschuss Frauen und Gleichstellung im Sport“ wiedergewählt wurden, sagten Sie: „Wenn es Führungspositionen in der Sportorganisation zu besetzen gilt, sollte es keine Rolle mehr spielen, ob der Bewerber männlich oder weiblich ist“. Ist dies mittlerweile Realität in den Sportvereinen und -verbänden?

Noch nicht, aber wir arbeiten daran. Inzwischen kommt aber ein ganz anderes Problem dazu, dass überhaupt händeringend Menschen fürs Ehrenamt in Führungspositionen gesucht werden. Diese Situation hat sich nach der Corona-Pandemie wie unter einem Brennglas verschärft. Jetzt suchen wir nicht nur Frauen in Führungspositionen, sondern allgemein Menschen, die sich fürs Ehrenamt begeistern lassen.

Gilt dies nur für Führungspositionen, oder auch für Trainer und Übungsleiter?

Ja, ganz allgemein. Das beobachte ich mit Sorge bei den Vereinen im Land.

Gehen Männer und Frauen gleich an ein ehrenamtliches Engagement im Verein heran?

Nein, ein ganz klares Nein.

Sind Frauen zu zurückhaltend?

Natürlich gibt es Ausnahmen, aber sie setzen sich nicht von selbst in die erste Reihe und suchen das Rampenlicht.

Wie lassen sich dann Frauen fürs Ehrenamt gewinnen und binden?

Frauen muss man direkt ansprechen. Von allein würde keine aufstehen und sagen: ‚Ich mache das.‘ Leider. Aber durch persönliche Gespräche ist vieles machbar.

Aber wenn sie dabei sind, bleiben sie dabei.

Das schon. Sobald irgendetwas nicht rund läuft, dann nimmt das eine Frau früher wahr. Das ist für Frauen häufig ein richtiges Problem. Die Resilienz ist unterschiedlich zwischen Männern und Frauen.

Immer wieder wird über eine Quote gesprochen. Würde dies helfen mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen?

Wir brauchen keine Quote. Wir brauchen Frauen nicht der Quote willen, sondern wir brauchen Frauen, die die Aufgabe von sich aus machen wollen und fürs Ehrenamt einstehen. Die nötigen Qualifikationen bringen sie mit.

Warum beteiligt sich der LSVBW gemeinsam mit Norwegen, Kroatien und Rhones-Alpes an einem EU-Antrag zur Steigerung der Quote von Frauen in Führungspositionen in Sportverbänden gestellt?

In diesem Fall setzen wir die Quote in Anführungszeichen. Was steigen sollte ist der Prozentsatz. Deshalb ist es aus meiner Sicht wichtig, dass wir den Mehrwert des Ehrenamts herausstellen und bei den Projektpartnern lernen und abschauen können. So wie diese gegebenenfalls bei uns tolle Ansätze kopieren können. Und wir müssen sichtbar machen, dass es schon viele Frauen in Ehrenämtern gibt und dass es ihnen guttut. Und dass das Netzwerk verbessert und entsprechend genutzt wird. Frauen brauchen teilweise unterschiedliche Netzwerke wie Männer. Diese müssen sie aber auch nutzen.

Durch diesen gemeinsamen Antrag wird klar deutlich, dass dies nicht allein ein deutsches Problem ist, sondern europaweit.

Sonst wäre dieser gemeinsame Antrag gar nicht zustande gekommen. Jetzt schauen wir mal, was rauskommt. Unabhängig davon arbeiten wir aber daran, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen.

Der LSVBW hatte sechs Jahre in Elvira Menzer-Haasis eine Präsidentin. Hat sich dadurch etwas verändert?  

Insgesamt in der Sportorganisation auf alle Fälle. Elvira hat eine Vorbildfunktion ausgeübt. Ihre Sichtbarkeit war eindeutig gegeben. Sie ist ja schon nach kurzer Zeit auch auf DOSB-Ebene als Vorsitzende der Landessportbundkonferenz in eine Führungsposition geschlüpft. Für uns war und ist Elvira ein Vorbild.

Was hat Sie vor Jahren veranlasst, als Präsidentin des Sportkreises Tuttlingen oder als Vorsitzende des „Ausschuss Frauen und Gleichstellung im Sport“ des LSVBW zu kandidieren?

Da muss man differenzieren zwischen Sportvereinen, Sportkreisen und Sportverbänden. Im Sportkreis ist man noch sehr nahe dran an den Vereinen. Weil ich schon damals über ein großes Netzwerk verfügt habe, habe ich die Chance gesehen, dass ich dem Sportkreis und den Vereinen etwas geben kann. Das war damals der Anlass für mich, mich im Sportkreis einzubringen. Wenn man auf LSVBW-Ebene eine Führungsposition übernimmt, dann hat man bereits manche Funktionen.

Können Sie Unterschiede in der Einstellung der verschiedenen Generationen zu einem ehrenamtlichen Engagement feststellen? 

Das ist keine Sache der Einstellung, muss ich feststellen, sondern teilweise ein Z-Problem, ein Zeitproblem. Wenn junge Menschen nach dem Studium voll in den Arbeitsprozess einsteigen und durchstarten, dann ist man heutzutage nicht mehr ortsgebunden, sondern viel unterwegs. Deswegen ist der zeitliche Aufwand größer. In diese Phase fällt auch die Familiengründung und sonstiges. In diesem Bereich hat sich das Familienrollenbild auch etwas geändert. Männer und Frauen teilen sich vieles, was sehr schön ist für die Kinder. Dadurch sind die Prioritäten vergeben. Und die Zeitfenster. Ich sehe dies in meiner Familie bei meinen Söhnen. Drum darf man die ältere Generation nicht außen vorlassen. Im fortgeschrittenen Alter hat man bereits Netzwerke und auch ein bisschen mehr Zeit.

Ihr Plädoyer lautet also: Gebt den Jungen mehr Zeit.

Genau. Es gibt aber auch gute Beispiele von jungen Menschen, die ein Ehrenamt übernehmen. Bei vielen ist jedoch zeitlich nicht mehr möglich. Dass junge Menschen begeistert und zu begeistern sind, sieht man an einzelnen Mentoring- und Leadership-Projekten, zu denen sich auch junge Menschen melden.

Als Übungsleiterin sind viele Frauen aktiv, dagegen ist die Zahl der hauptberuflichen Trainerinnen noch relativ niedrig. Inwiefern beschäftigt sich der „Ausschuss Frauen und Gleichstellung im Sport“ mit dieser Situation?

Das Thema wird schon diskutiert, aber mehr auf DOSB-Ebene. Dies ist vorwiegend ein Thema des Bildungsbereichs, wir können aber beobachten, motivieren und anregen. Wenn man die Zahl der Übungsleiter und Trainer in seiner Gesamtheit betrachtet, sind die Frauen sicher in der Überzahl. Eine Frau ist vielleicht lieber an der Basis tätig, wo sie noch die persönliche Anbindung hat, als ein überregionales Traineramt auszuüben. Aber auch in diesem Bereich gibt es Veränderungen. Es gibt immer mehr Frauen, die Profimannschaften trainieren. Es kommt schon. Ich möchte aber nicht jammern, denn wir brauchen auch die Übungsleiterinnen an der Basis. Wenn eine Frau das Kinderturnen leitet oder die F-Jugend trainiert, dann ist das genauso wichtig.

Wie nehmen Sie die mediale Darstellung von Männern und Frauen wahr?

Mein Eindruck: Die Frauen kommen nicht schlecht weg. Wenn Sportlerinnen tolle Leistungen erbringen, dann wird schon sehr umfangreich über sie berichtet. Ich denke dabei zum Beispiel an Weitsprung-Olympiasiegerin Malaika Mihambo. Es kommt immer auf die Persönlichkeit, die Erfolge und die Geschichten dahinter an.

Wie stellt sich die Situation von nicht-binären Menschen im Sport dar?

Das ist nach wie vor schwierig. Dabei muss man allerdings zwischen Spitzen- und Breitensport unterscheiden. Im Breitensport ist es sicherlich eher problemlos. Da fragt niemand danach. Im Spitzensport geht es um die Vergleichbarkeit. Wie lassen sich die Leistungen messen und vergleichen? Wie kann man das reglementieren oder regeln? Sobald jedoch darüber gesprochen wird, tut sich etwas. Und es wird darüber gesprochen. Das sind die ersten und wichtigsten Schritte.