
In einem Querpass geht LSVBW-Präsident Jürgen Scholz auf die Entwicklung der Performanceschuhe und deren Einfluss auf den Wettbewerb ein.
Wenn es diese Laufschuhe schon vor 40 Jahren gegeben hätte. Immerhin versprechen diese Performanceschuhe mit Karbonsohle, die unter dem Begriff Advanced Footwear Technology (AFT) geführt werden, eine Verbesserung von fünf bis sechs Prozent. Dann wäre meine 100-Meter-Bestzeit keine 10,9 Sekunden, sondern eine 10,5. Schön wär’s gewesen…
Mir ist schon klar, dass sich technischer Fortschritt nicht aufhalten lässt. Und es freut mich, dass sich die Sportartikelhersteller Gedanken machen, wie sie die Leichtathletik attraktiver machen können, indem starke Sportler noch schneller unterwegs sein können. Doch diesen technischen Fortschritt können und sollten wir nicht aufhalten. Die olympische Devise lautet nun einmal citius, altius, fortius – schneller, höher, weiter!? Für mich hat die Leichtathletik aber im Wettkampf- und Schulsport, sowie im Nachwuchsbereich etwas mit elementaren Bewegungsformen zu tun – laufen, springen, werfen. Und das zunächst ganz ohne solche technische Hilfsmittel.
Denn man könnte sich auch Sorgen machen, insbesondere um unsere ganz jungen Sportler, deren motorischer Ausbildungsstand und deren physische Entwicklung unter Umständen diesen neuen Schuh- und Spiketechnologien noch nicht gewachsen sind. Derzeit gibt es noch sehr wenige, wissenschaftlich fundierte Untersuchungen zu den Auswirkungen, die starre Karbonsohlen samt einer bis zu 40 mm starken Dämpfung auf den Sehnen-, Knochen und Bänderapparat haben. Beim Auftreten wird mit diesen Spezialschuhen nämlich mehr Energie gespeichert, die beim Abdrücken wie eine Feder wieder abgegeben wird. Erste Indizien deuten jedoch an, dass es bei technisch und konditionell schlecht vorbereiteten Sportlern zu einer Häufung von Verletzungen kommt. Deshalb ist zumindest ein dosierter Einsatz der Performanceschuhe angeraten.
Bedenklicher allerdings finde ich jedoch Anderes. Diese Performanceschuhe sind deutlich teurer als konventionelle Laufschuhe oder Spikes. Entscheidet künftig nicht mehr das Talent, wer sich bis zur Spitze hocharbeitet, sondern der Geldbeutel der Eltern? Ähnliches gilt auch für Spitzenathleten, die um eine Norm für Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften kämpfen. Kann der Hersteller entscheiden, wer diese erfüllt, weil er die Verteilung der Schuhe steuert? Dies wäre ein klarer Fall von Wettbewerbsverzerrung.
Eine ähnliche Entwicklung gab es vor einigen Jahren auch im Schwimmen. Durch Anzüge, deren Struktur der Haut von Haien ähnelte, wurden die Weltrekorde geradezu pulverisiert. Bis der Internationale Schwimmverband eingriff und diese Anzüge verboten hat. Auch World Athletics, der internationale Leichtathletikverband, sollte sich die Entwicklung sehr genau anschauen. Und dabei nicht nur die Weltspitze im Blick haben.
Denn für mich ist das, was mir unsere Trainer berichten, besorgniserregend. Ein zu früher Einsatz dieser Performanceschuhe und Spikes mit Kindern und Jugendlichen kann dazu führen, dass zwingend erforderliche koordinative Grundlagen nicht ausreichend erlernt werden und sich der kindliche Fuß und die kindliche Muskulatur nicht ausreichend an hohe Belastungen anpassen kann. Zusätzlich erhalten die Sportler durch die starre Sohle weniger Rückkopplung, was die Bewegungswahrnehmung und -steuerung in Lernphasen stark beeinträchtigen kann.
In diesem Punkt müssen sowohl unsere Trainer über Risiken und Chancen aufgeklärt werden, um ihre Sportler verantwortungsvoll beraten und informieren zu können. In einem Punkt allerdings bin ich mir sehr sicher: Ein Schuh allein macht noch keinen Olympiasieger oder Weltmeister. Talent, Fleiß, Beharrlichkeit und ein gutes direktes Umfeld sind hier viel entscheidender.