Die European Championships in München sind Geschichte. In neun Sportarten wurden insgesamt 177 Wettbewerbe ausgetragen. Im Olympiapark und den anderen Wettkampfstätten sorgten mehr als 1,2 Millionen Besucher für eine ausgelassene, fröhliche Stimmung, die die Athletinnen und Athleten zu Höchstleistungen antrieb. Auch Sportlerinnen und Sportler aus Baden-Württemberg haben für Glanzlichter gesorgt.

Kim Bui war völlig überwältigt. Annähernd 10 000 Besucher in der Olympiahalle feierten die Turnerin vom MTV Stuttgart nach ihrem letzten Wettkampf, den sie davor angekündigt hatte, überschwänglich. Noch einmal hatte sie das Finale am Stufenbarren erreicht, in dem sie Platz fünf belegte. Das war nebensächlich. Denn die Fans feierten sie, als wäre sie Europameisterin geworden. „Mir ist gerade schlecht, ich habe Bauchweh, keine Ahnung, woher das kommt. Es ist überwältigend und es ist ganz schwer, in Worte zu fassen. Aber es war einfach nochmal ganz, ganz toll, das hier miterleben zu dürfen“, sagte die 33-Jährige. Ein paar Tage später meinte sie: „Ich hab’s mir nicht schöner vorstellen können.“

Dieser Satz hätte auch von Elisabeth Seitz, ihrer Trainingskollegin am Stuttgarter Kunstturnforum, kommen können. Denn die 28-Jährige war es, die Gold am Stufenbarren gewonnen hat. „Das ist ein Riesentraum, der wahr wird“, sagte sie in einer ersten Reaktion, „ich bin seit 2009 in der deutschen Nationalmannschaft und habe immer geträumt einmal ganz oben zu stehen. Und jetzt ist es passiert, hier in München in der Olympiahalle vor heimischem Publikum. Ich glaube, besser geht es gar nicht.“ Abgerundet wurden die Turntage in München durch Bronze für das deutsche Team.

Geendet haben die Meisterschaften mit dem überraschenden Gold für Qiu Dang im Tischtennis-Einzel. Überraschend deshalb, weil die Entwicklung des 25-Jährigen zu einem der besten Spieler im Profisport rasant verlief. Kein Wunder, schließlich ist der in Nürtingen geborene Qiu quasi vorbelastet. Seine Eltern Chen Hong und Qiu Jianxin sind Ende der Achtziger aus China nach Deutschland gekommen. Nach seiner aktiven Karriere arbeitete Vater Qiu als Trainer beim TTC Frickenhausen. „Als Kind wird man von den Eltern stark beeinflusst. Wenn man dann so viel davon sieht und mit zu den Spielen fährt, dann findet man es irgendwann auch selbst cool“, erinnert er sich. „Dang lebt Tischtennis von morgens bis abends“, charakterisiert ihn Timo Boll. Der achtmalige Europameister wurde im Viertelfinale glatt mit 0:4-Sätzen von Qiu geschlagen.

Fortgesetzt haben Franziska Brauße und ihre Kolleginnen aus dem Bahnvierer ihre Erfolgsgeschichte. Nach dem Olympiasieg, dem WM-Titel radelten das Quartett mit Brauße, Lisa Brennauer (Kempten), Lisa Klein (Saarbrücken) und Mieke Kröger (Bielefeld) in München auch zu EM-Gold. „Na ja, es ist anders emotional“, zog Franziska Brauße, die für den RSV Öschelbronn fährt, den Vergleich zu den Olympischen Spielen in Tokio, „dieses Mal standen wir viel mehr unter Druck. Aber durch die Zuschauer war es wirklich ein fantastisches Event, und wenn es dann noch so positiv ausgeht, ist es natürlich umso schöner!“

Einen unglaublichen Schlussspurt legte Richard Ringer im Marathon hin. Eigentlich schien der 33-Jährige vom Bodensee bereits abgeschlagen. Der Israeli Maru Teferi schien einem ungefährdeten Sieg entgegenzulaufen. Doch dann setzte der ehemalige Bahnläufer Ringer zu einem Sprint an, konnte Teferi noch ein- und überholen. Nach 2:10:20 Stunden überquerte er die Ziellinie. „Die Zielgerade war so lang. Mir ging es von der Luft her gut, aber ich hatte unten überall Krämpfe. Meine Füße taten weh“, sagte Ringer. Doch sie trugen ihn weiter. „Es war erst mein vierter Marathon, alle davor waren hart. Aber heute war es leicht, weil wir das Team hatten, das hat total motiviert. Dass im Einzel dieses Ergebnis rauskommt, ist Wahnsinn“, sagte Ringer, der sich neben Gold im Einzel auch noch über Silber im Team mit Amanal Petros (Wattenscheid) und Johannes Motschmann (Berlin) freuen konnte.

Europameisterin dürfen sich auch Jessica-Bianca Wessolly und Lisa Nippgen nennen. Die beiden Sprinterinnen der MTG Mannheim gehörten zur 4×100-Meter-Staffel, die im allerletzten Wettbewerb der European Championships Gold gewann. Zwar waren sie im Finale nur Zuschauerinnen, im Vorlauf jedoch hatte Wessolly die Sprint-Europameisterin Gina Lückenkemper ersetzt, die geschont wurde.

Keine Schonung dagegen gab’s für Malaika Mihambo. Die Weitsprunge-Olympiasiegerin und zweimalige Weltmeisterschaften hatte von den Titelkämpfen in Eugene neben Gold eine Coronainfektion mitgebracht. Lange war nicht klar, ob sie starten kann. Die Athletin der LG Kurpfalz konnte, sprang auch gute 7,03 Meter weit. Allerdings war an diesem Abend die Serbin Ivana Vuleta drei Zentimeter weiter gesprungen. Trotzdem war Mihambo nicht enttäuscht: „Nach dieser Vorgeschichte ist diese Medaille noch einmal höher einzuschätzen.“ Während des Wettkampfes hatte sie ein Kribbeln und Müdigkeit in den Beinen gespürt. „Es war ein harter Wettkampf, weil ich gemerkt habe, dass ich nicht bei 100 Prozent bin, sondern die letzten Körner fehlen.“ Doch die Euphorie, für die Besucher im Olympiastadion gesorgt hatten, trug sie durch den Wettkampf. So wie viele andere auch.

Die Medaillengewinner aus Baden-Württemberg:

Kanu:

  • C2 200 m: Bronze: Sophie Koch (Rheinbrüder Karlsruhe)

Leichtathletik:

  • Marathon: Gold: Richard Ringer (LC Rehlingen, vorm. VfB Friedrichshafen)
  • Marathon (Team): Silber: Richard Ringer
  • 4×100 m: Gold: Lisa Nippgen, Jessica-Bianca Wessolly (beide MTG Mannheim)
  • Weitsprung: Silber: Malaika Mihambo (LG Kurpfalz)

Rad:

  • Bahnvierer: Gold: Franziska Brauße (RSV Öschelbronn)

Rudern:

  • Para-Mixed-Vierer: Bronze: Susanne Lackner (Mannheimer RV Amicitia), Inga Thöne (Ulmer Ruderclub Donau)

Schwimmen:

  • 400 m Freistil: Bronze: Henning Mühlleitner (Sportunion Neckarsulm)

Tischtennis:

  • Einzel: Gold: Qiu Dang (Borussia Düsseldorf, vorm. TTC Frickenhausen, TTC Ober-Erlenbach)

Triathlon:

  • Mixed: Silber: Valentin Wernz (TSF Tuttlingen)

Turnen:

  • Team: Bronze: Kim Bui, Elisabeth Seitz (beide MTV Stuttgart)
  • Stufenbarren: Gold: Elisabeth Seitz (MTV Stuttgart)