
Ende des Jahres 2024 waren durch ehemalige wie auch noch aktive Turnerinnen Vorwürfe der interpersonellen Gewalt am Kunst-Turn-Forum in Stuttgart wie auch später am Turnzentrum in Mannheim öffentlich gemacht worden. Daraufhin hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der Landessportverband Baden-Württemberg (LSVBW) ist Ende Februar vom Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg beauftragt worden, die Vorfälle durch ein unabhängiges Expertengremium strukturell zu analysieren und einen Wandel einzuleiten.
Auf den ersten Blick zeigt sich die Situation am Kunst-Turn-Forum in Stuttgart wie auch am Turnzentrum in Mannheim als ein Fehlverhalten einzelner Personen. Soziale Strukturen, die das Handeln zwar nicht vollständig festlegen, können solches Handeln jedoch entscheidend prägen. Wenn man erreichen will, dass sich ein solches Fehlverhalten in Zukunft nicht wiederholt, reicht es nicht aus, nur personelle Konsequenzen zu ziehen, sondern diejenigen Strukturen zu identifizieren, die für das Fehlverhalten von Personen prägend sind. Das heißt, die Ziele und Aufgaben der Organisation müssen identifiziert und der Grad ihrer Auswirkung auf personelles Handeln bestimmt werden. Dazu müssen die Kommunikationswege innerhalb der Organisation auf und zwischen den einzelnen Hierarchieebenen sowie zu den relevanten Umwelten untersucht werden. Explizit bedeutet dies: Wer spricht mit wem mit welcher Verbindlichkeit? Wer ist weisungsbefugt, und wie wird Weisung ausgeübt? Welche Formen der Kommunikation prägen die Trainer-Athlet-Beziehung?
Sportministerin Theresa Schopper hatte eine unabhängige Expertengruppe gefordert, die die Vorkommnisse aufarbeiten und strukturelle Veränderungen ausarbeiten soll, und den LSVBW mit der Suche geeigneter Persönlichkeiten beauftragt. „Wir sehen diese Arbeitsgruppe nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft“, sagt LSVBW-Hauptgeschäftsführer Ulrich Derad, „sollte die Arbeitsgruppe während ihrer Arbeit zu der Erkenntnis kommen, weitere Mitglieder oder weitere Sachverständige hinzuzuziehen, ist es ihr freigestellt, dies zu beschließen. Darüber hinaus gehen wir davon aus, dass die Arbeitsgruppe den direkten Kontakt zur Staatsanwaltschaft suchen wird. Auch, um den Rechtsrahmen für die Arbeit der Arbeitsgruppe abzustecken.“
Bis Ende Juli, so die Vorstellung, soll ein erster Bericht vorliegen. Dieser soll dem LSVBW ebenso vorgelegt werden wie dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg. Auf Wunsch können auch weitere Organisationen wie das Parlament, der Bildungsausschuss des Landtags sowie die Turnverbände Einsicht bekommen. „Dem Badischen und dem Schwäbischen Turnerbund haben wir unsere Pläne vorgestellt“, sagt Derad, „beide Verbände haben zugesichert, die nötigen Zugänge zu gewähren und Türen zu öffnen. Auf den Deutschen Turner-Bund haben wir hier keinen direkten Einfluss.“
Die Beratung der verschiedenen Organisationen ist als eine Hilfe zur Selbsthilfe zu verstehen, die durch Schulungsmaßnahmen für das Management und die Trainer begleitet werden kann. Und als langfristiges Ziel formuliert Derad: „Wir wollen einen Prozess durch eine entsprechende Beratung anstoßen, der zu strukturellen Veränderungen führt. Wir wollen maßgebliche Erkenntnisse gewinnen, wie man es künftig besser machen kann. Im Turnen in Baden-Württemberg, aber womöglich auch bundesweit und in anderen Sportarten.“