Ein Teil von Jamaikas Leichtathletikteam bereitet sich unmittelbar vor den Olympischen Spielen am Olympiastützpunkt in Stuttgart vor. Weitere Pre-Camps sowie ein Austausch von Trainern und Athleten wurden in einer Kooperationsvereinbarung fixiert.

Für Hansle Parchment gehört das Abschlusstrainingslager in Stuttgart vor einem großen Wettkampf in Europa schon zum festen Ritual. Vor einem Jahr hat sich der 110-Meter-Hürden-Olympiasieger am Olympiastützpunkt Stuttgart (OSP) mit seinem Kraft-Kompetenz-Zentrum und im Stadion Festwiese auf die Weltmeisterschaften in Budapest vorbereitet. „Es ist perfekt hier, die Wege sind kurz, ich habe all das vorgefunden, was ich zum Training benötige“, sagte der 34-Jährige, „es war eine gute Vorbereitung.“ Und Abwechslung hat er auch schon gefunden. „Ich war im Mercedes-Benz-Museum, ich war im Porsche-Museum und auf dem Fernsehturm oben auf dem Hügel. Wenn ich einen Tag frei habe, schaue ich mir gerne die Stadt an. Aber natürlich entspanne ich sehr viel, weil es kommt ein wichtiger Wettkampf auf mich zu“, sagt Parchment.

Kein Wunder also, dass der 1,96 Meter große Modellathlet vor den Olympischen Spielen in Paris wieder Station in Stuttgart macht. Doch dieses Mal kam er nicht alleine, sondern hat noch etwa 20 Teamkolleginnen und -kollegen mitgebracht. Die können Parchments Urteil nur bestätigen. „In den vergangenen 25 Jahren waren wir in vielen Pre-Camps“, sagte Teammanager Ludlow Watts bei einem Medientermin, „Stuttgart ist der beste Standort von allen.“ Dies erfüllte Stuttgarts Sportbürgermeister Clemens Maier mit Stolz: „Wir sind bestrebt, dass die jamaikanischen Sportlerinnen und Sportler in Paris die optimalen Leistungen erbringen können.“

Der Aufenthalt in Stuttgart dient jedoch nicht nur der Vorbereitung auf die Spiele, sondern auch dem sportlichen Austausch. Bereits während des Aufenthalts einer Delegation des Landessportverbands Baden-Württemberg und des Olympiastützpunkts Stuttgart wurde mit der Jamaica Athletics Administrative Association (JAAA) ein „memorandum of understanding“ unterzeichnet. Eingefädelt hat diesen Sven Rees. Der Geschäftsführer von Leichtathletik Baden-Württemberg war im vergangenen Jahr beim Leichtathletik-Meeting „Weltklasse Zürich“ gefragt worden, ob er sich eine Kooperation mit dem Jamaikanischen Leichtathletik-Verband (JAAA) vorstellen könne. Und er konnte.

„Auch in den kommenden Jahren wird Stuttgart das Base Camp für die jamaikanische Leichtathletikmannschaft in Vorbereitung auf internationale Wettbewerbe in Europa sein“, sagt Jürgen Scholz, Präsident des Landessportverband Baden-Württemberg (LSVBW). Die JAAA ist ein wichtiger Partner für den Landessportverband Baden-Württemberg und den Olympiastützpunkt Stuttgart. „Wir können uns mit unserem Wissen in den verschiedenen Leichtathletik-Disziplinen perfekt ergänzen,“ führte Scholz aus. Während die jamaikanischen Athletinnen und Athleten in den Sprintdisziplinen sehr stark sind, verfügen die Stuttgarter Sportler über umfangreiche Erfahrung in den Wurfdisziplinen. So soll in der Zukunft auch ein guter Austausch zum Beispiel in Workshops zwischen den jeweiligen Trainerteams stattfinden. „Für uns ist interessant zu sehen, was sie anders und besser machen“, sagt LSVBW-Hauptgeschäftsführer Ulrich Derad.

Eine erste Profiteurin dieser Kooperation war Rosina Schneider. Die U20-Europameisterin über die 100 Meter Hürden und in der Staffel durfte vor Weihnachten 2023 in der Trainingsgruppe der dreifachen Olympiasiegerin Shelly-Ann Fracer-Pryce mitmachen. Bei ihrer Rückkehr schwärmte sie von deren Trainingspensum: „Die trainieren häufig doppelt so lange wie ich dies tue.“

Die Chance, so hochdekorierte Athletinnen und Athleten live zu erleben, nutzten einige Leichtathletikfans. Statt hohen Pensums erlebten sie eher ruhigere Einheiten. Zwischen den verschiedenen Läufen machten Parchment, 9,82-Sekunden-Sprinter Oblique Seville oder das 19-jährige Hürdentalent Alena Reid immer wieder längere Pausen. „Es war gut zu sehen, dass sie auf eine sehr hohe Qualität in der Ausführung Wert legen“, hat Sven Rees beobachtet: „Und dass alles auf Athletik und Kraft basiert. Diese Basics haben wir in Deutschland ein bisschen verloren.“

„Der Aufenthalt der jamaikanischen Leichtathletinnen und Leichtathleten in Stuttgart ist eine große Inspiration für unsere jungen Sportlerinnen und Sportler. Ihre Präsenz motiviert unsere Nachwuchstalente, ihre eigenen Ziele mit großer Leidenschaft zu verfolgen“, sagte Dieter Schneider. Weiter führte der Präsident des Württembergischen Leichtathletik-Verbands (WLV) aus: „Ich verspreche mir einen größeren Profit für beide Seiten.“

Derweil genießt Hansle Parchment die sommerlichen Temperaturen beim Techniktraining über die Hürden. Cool steht er in der Sonne, mit grünem Baseballcap und Sonnenbrille. Der Schweiß perlt über seinen muskelbepackten Körper. Dabei hofft er auf eine Wiederholung seiner Erfolge von Tokio und Budapest. Dann dürfte auch der OSP Stuttgart einen kleinen Teil seines Erfolgs als seinen Erfolg verbuchen.