Der LSV hat im Dezember 2016 einem seit langem angestellten Landestrainer im Fechtsport außerordentlich gekündigt. Hintergrund sind unzweifelhafte Zeugenaussagen bezüglich sexualisierter Gewalt gegenüber Schutzbefohlenen von Athletinnen, die dieser am Stützpunkt betreut hat.

Frau Menzer-Haasis, welchen Anspruch hat der LSV an Trainer, Betreuer und Funktionäre, die in Baden-Württemberg aktiv sind?
Im Berufsbild Leistungssportpersonal, das Bestandteil jedes Arbeitsvertrags eines beim LSV angestellten Landestrainers ist, wird neben den fachlichen Kompetenzen auch die pädagogische und soziale Verantwortung der Trainer formuliert. Wir erwarten von Trainern eine starke Ausprägung, sich der Persönlichkeitsentwicklung der insbesondere jungen Athleten anzunehmen. Trainer sind Vorbilder und müssen ein tadelloses Verhalten aufweisen. Darüber hinaus hat sich der LSV schon 2010 gemeinsam mit den drei Sportbünden im Land mit seiner „Erklärung zur Kindeswohlgefährdung, sexualisierter Gewalt und Missbrauch im Sport“ und Schutzkonzepten unmissverständlich positioniert.
Dies ist veröffentlicht unter www.lsvbw.de/sportwelten/sportjugend/soziales/ . Insbesondere schutzbedürftige Kinder und Jugendliche von der Vereinsbasis bis zum Spitzenathleten sollen im organisierten Sport im Land einen sicheren und selbstbestimmten Ort vorfinden – ohne jedwede negative Ausprägung von Macht und Gewalt. Wir etablieren und leben im Sport eine Kultur des Hinsehens und Handelns!

Wie muss man sich das bisherige Verfahren vorstellen?
Wir standen und stehen mit vielen Athleten und Personen im Athletenumfeld im steten persönlichen Austausch. Den Betroffenen haben wir Angebote zur psychologischen Betreuung unterbreitet. Die im Rahmen des Gerichtsverfahrens benannten Zeuginnen lassen keinerlei Zweifel daran, dass sie auch im Verfahren ihre Aussagen wiederholen. Strafanzeigen gegen den Landestrainer hat es unseres Wissens bis heute keine gegeben. Solch eine Entscheidung läge beim jeweils Betroffenen selbst und nicht beim Landessportverband. Der LSV-Betriebsrat war und ist vollumfänglich in den Kündigungsfall eingebunden und war mit dem Beklagten auch im persönlichen Austausch.

Wie hat sich der beschuldigte Landestrainer zu den Vorwürfen geäußert?
Der betroffene Landestrainer wies beim persönlichen Gespräch die vom LSV dargelegten Anschuldigungen bei der Übergabe der schriftlichen Kündigung im Beisein des LSV-Betriebsratsvorsitzenden und der den LSV vertretenden Anwältin als frei erfunden und als Intrige zurück. Seither lässt er sich anwaltlich vertreten. Bis heute hat er das Gespräch mit mir und anderen Vertretern des LSV nicht gesucht.

Was hat sich nach dem Bekanntwerden der Kündigung ergeben?
Nach Bekanntwerden der Vorwürfe und der sich daraus ergebenden Kündigung haben sich unaufgefordert mehr und mehr Athleten und Personen aus deren Umfeld bei uns mit weiteren erschütternden persönlichen Geschichten direkt oder auch per Brief gemeldet. Es war ein bisschen so, als wenn man einen Stein in einen See wirft und sich die Ringe weiter und weiter ausbreiten! All diese Begegnungen und Hinweise haben uns in unserem Handeln bestärkt, haben für uns das Bild immer deutlicher gemacht. Sicherlich haben auch die Berichte in überregionalen Zeitungen und Magazinen dazu geführt, dass Personen ihr Schweigen gebrochen haben. Die Betroffenen merken, dass sie sich mit den schwierigen Erlebnissen in die Öffentlichkeit trauen können und verlässliche Ansprechpartner und Unterstützung finden, unter anderem beim LSV.

Handelt es sich um ein bundesweites Problem?
Der Deutsche Olympische Sportbund mit seiner Sportjugend hat in 2017 seine bundesweite Studie „Safe Sports?“ vorgestellt, in der unter anderem folgende Ergebnisse zutage traten: „Etwa ein Drittel aller befragten Kadersportler und -sportlerinnen hat schon einmal eine Form von sexualisierter Gewalt im Sport erfahren. Die Mehrheit der betroffenen Athletinnen und Athleten ist bei der ersten Erfahrung sexualisierter Gewalt unter 18 Jahre alt.“

In welchem Stadium befindet sich das Gerichtsverfahren aktuell?
Das Arbeitsgericht hat versucht, einen Vergleich anzustreben, was für den Landestrainer keine Option war. Im Teilurteil der ersten Instanz wurde lediglich die Fristlosigkeit der LSV-Kündigung abgewiesen, nicht aber die Kündigung an sich verworfen. Aus Sicht des Gerichts wäre solange eine Weiterbeschäftigung in der Verwaltung denkbar gewesen. Dem hat der LSV widersprochen. Der Landestrainer hatte eine Trainerstelle inne und ist kein Verwaltungsangestellter. Aus diesem Grunde kommt eine Weiterbeschäftigung unter keinen Umständen in Betracht. Stattdessen haben wir gegen das Urteil Berufung eingelegt. Außerdem wurden zusätzliche Kündigungen ausgesprochen, weil sich weitere Athletinnen mit Vorwürfen gegen den Trainer an uns gewandt haben. Kontakte zu Athleten müssen ein für alle Mal unterbunden werden und bleiben.

Manche überregionale Zeitung in Baden-Württemberg hinterfragt das LSV-Vorgehen kritisch, so z. B. die Zuarbeit für das Gericht. Das Landesarbeitsgericht Stuttgart hat den Termin des Berufungsverfahrens vom 13.12.2017 nun auf den 7.02.2018 verlegt. Ist es richtig, dass das Landesarbeitsgericht im Schreiben, welches dem LSV die Terminverlegung mitteilt, auch fehlende Beweismittel angemahnt hat, die man noch vom LSV erwarte?
In der gesamten Verlaufszeit war und ist die Leitidee unseres Handelns, verantwortungsvoll und achtsam den im Fall Beteiligten sowie dem Prozessablauf zu begegnen. In der gerichtlichen Verfügung gibt es genau einen Verlegungsgrund. Dieser lautet: „Die Terminverlegung erfolgt aus dienstlichen Gründen – § 21 Abs. 1 S. 2 GKG (auslagenfrei), (der Vorsitzende ist als Mitglied des Landesrichter- und staatsanwaltsrats zurzeit bei der Ausarbeitung einer Dienstvereinbarung über die Einführung der eAkte zeitlich sehr beansprucht).“ Eine solche gerichtliche Verfügung ist eine Urkunde gem. § 415 ZPO, welche die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit in sich trägt.

Wie beurteilt der LSV die vom Stuttgarter Rechtsanwalt Alexander Burger in der Stuttgarter Zeitung vom 19.12.2017 formulierte Einschätzung, wonach der LSV als Arbeitgeber „allem Anschein nach (…) nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft (hat), dem Sachverhalt auf den Grund zu gehen?“
Im Vorfeld des Artikels hat Herr Burger keinen Kontakt zu uns aufgenommen. Vor diesem Hintergrund kann er die Faktenlage nicht kennen und kennt damit auch nicht die eindeutigen, mehrfach belegten Zeugenaussagen zu verschiedenen Sachverhalten. Folglich konnte er vermutlich nur spekulieren, ob alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden. Offenkundig wusste er nicht, dass eine Tatkündigung ausgesprochen wurde. Bei einer Tatkündigung entschließt sich der Arbeitgeber zur Kündigung, weil er der Überzeugung ist, dass der Arbeitnehmer eine zu ahndende arbeitsrechtlich relevante Handlung oder schwerwiegende Pflichtverletzung begangen hat und ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses deshalb unzumutbar ist. „Allem Anschein nach“ beschreibt in meinen Augen schon das Problem. Ferndiagnosen nicht am Verfahren beteiligter Juristen sind meiner Auffassung nach nicht sachdienlich.

Frau Menzer-Haasis, was möchten Sie Ihrerseits abschließend zur aktuellen Situation noch kommentieren?
In der Berichterstattung kommt mir eines zu kurz: Sich über die betroffenen Sportlerinnen Gedanken zu machen, deren Leben durch diese Vorfälle in vielfältiger Weise nachhaltig verändert wurde, und dies nicht zum Positiven! Zudem wollen wir uns gar nicht vorstellen was passiert wäre, wenn wir von anderen Anschuldigungen gewusst, aber nicht gekündigt hätten und es zu weiteren Vorfällen gekommen wäre. Wir sind konsequent unserer Fürsorgepflicht nachgekommen. Außerdem gibt es bedauerlicherweise Indizien dafür anzunehmen, dass Athletinnen ihr Karriereende unter anderem auch mit den Vorkommnissen begründen. Für mich und den LSV ein zusätzlicher Schlag in die Magengrube, wo wir uns doch stetig für die Verbesserung von Rahmenbedingungen im Sport einsetzen. Wenn ich im Hinblick auf die Kündigung alles bilanziere, kann ich mich in meiner langen Laufbahn als Sportfunktionärin an keine andere Entscheidung mit einer derartigen persönlichen Tragweite erinnern. Wir bestreiten das gesamte Verfahren mit großer Umsicht und hoher Sorgfalt. Bis heute sind wir alle überzeugt, richtig gehandelt und entschieden zu haben!